Oberhausen/Istanbul. . Bei Demonstrationen in der Türkei kam es am Wochenende erneut zu Unruhen. Regierungschef Erdogan verweigert Neuwahlen und macht Stimmung gegen die politischen Gegner im Land. Doch die Proteste weiten sich aus.
In mehreren deutschen Städten hat es am Wochenende Solidaritätsbekundungen mit den Protesten in der Türkei gegeben. Zu einer der größten Veranstaltungen hatte die Alevitische Gemeinde in Oberhausen aufgerufen; gut 1000 Menschen trafen sich auf dem Saporishja-Platz, darunter viele Familien.
„Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“ skandierten die teils aus ganz Deutschland in Bussen angereisten Demonstranten. Redner wie der Bochumer Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD) kritisierten die „faschistische“ Politik des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan.
In der Türkei gehen die Proteste gegen die islamisch-konservative Regierung weiter. In Istanbul strömten am Sonntagnachmittag erneut zehntausende Demonstranten zum Taksim-Platz.
MHP-Führung fordert Neuwahlen
Erdogan hält trotz der Massenproteste an seinem Amt fest. Die regierende Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) lehnt die Forderung der Opposition nach Neuwahlen ab. „Es gibt keine Notwendigkeit vorzeitiger Wahlen“, sagte der Vize- AKP-Chef Hüseyin Celik am Samstag nach einer Sitzung der Partei-Führungsgremien unter Vorsitz von Erdogan. Der Oppositionspolitiker Devlet Bahceli, Chef der rechts-nationalistischen Partei MHP, hatte zuvor Neuwahlen gefordert. Die Unruhen hätten „die Gesellschaft polarisiert“, sagte er.
Erdogan darf nicht mehr kandidieren
Der Ruf nach Neuwahlen bringt Erdogan in ein Dilemma. Seit 2003 wurde er dreimal hintereinander ins Parlament gewählt; nach den Statuten seiner Partei darf er kein viertes Mal kandidieren. Nach Neuwahlen könnte er damit auch nicht Ministerpräsident bleiben.
Erdogan sprach am Sonntag vor zwei Großkundgebungen in Adana und Mersin. Unter dem Beifall seiner Anhänger bezeichnete er die Demonstranten als „Gesindel“ und „Plünderer“. In der Nacht zuvor waren in Adana Regierungsanhänger und regierungskritische Demonstranten aneinandergeraten.
Taksim-Camp mit Kinderbetreuung und Yoga-Kursen
Auch in Ankara kam es in der Nacht zum Sonntag erneut zu Zusammenstößen. Die Polizei setzte in der Nähe des Parlaments Wasserwerfer ein, um die Demonstranten zu vertreiben. Zwischenfälle wurden auch aus dem Istanbuler Stadtviertel Gazi gemeldet, wo Demonstranten Molotowcocktails auf die Polizei warfen.
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Am Istanbuler Taksim-Platz, wo sich die Proteste an Erdogans Plänen zur Rodung eines Parks und der Rekonstruktion einer ottomanischen Armeekaserne (als Einkaufszentrum geplant), entzündet hatten, blieb die Polizei am Wochenende auf Distanz. Hunderte Demonstranten campieren hier in Zelten, diskutieren und machen Musik. An Ständen unter freiem Himmel werden kostenlos Bücher, Lebensmittel und Kleider angeboten. Es gibt einen Kindergarten, eine Sanitätsstation, Yoga-Kurse und Happenings.
Fußball-Fans vereint im Protest
Am Samstagabend hatten die rivalisierenden Istanbuler Fußballvereine Besiktas und Fenerbahce ihre Anhänger zu einer gemeinsamen Protestversammlung auf dem Taksim-Platz aufgerufen. Zehntausende Fans beider Klubs, die sich sonst befehden, riefen gemeinsam Sprechchöre wie „Widerstand ist überall“.
Nachdem in den vergangenen zehn Tagen Hunderttausende in vielen türkischen Städten gegen Erdogan und die Islamisierungsbestrebungen seiner Regierung auf die Straßen gingen, will die AKP jetzt ihre Anhänger mobilisieren. Die Partei plant am kommenden Wochenende große Demonstrationen in Ankara und Istanbul, um „Geschlossenheit und Solidarität“ zu zeigen. Bereits zu Beginn der Proteste hatte Erdogan der Opposition gedroht, wenn sie Hunderttausende Menschen auf die Straße schicke, werde er eine Million mobilisieren.
Polizeigewerkschaft kritisiert 120-Stunden-Einsätze
Die türkische Polizeigewerkschaft kritisiert die Einsatzbedingungen bei den Demonstrationen. Die Beamten seien zu 120 Stunden langen Dauereinsätzen gezwungen worden, sagte laut Medien der Vorsitzende der Gewerkschaft, Faruk Sezer.
Die türkische Regierung steht wegen der brutalen Polizeieinsätze der vergangenen Tage auch international in der Kritik. Gewerkschafter Sezer sagte, die Gewalt gegen Demonstranten sei auch ein Ergebnis der Gewalt, der die Beamten selbst ausgesetzt seien. Seit Beginn der Proteste haben nach Gewerkschaftsangaben bereits sechs Polizisten Selbstmord begangen.