Masar-i-Scharif. Bundesaußenminister Westerwelle hat Afghanistans Präsidenten Karzai und den neuen pakistanischen Regierungschef Sharif besucht. Dabei mahnte Westerwelle zu demokratischen Reformen. Im deutschen Feldlager in Masar-i-Scharif gedachte er der gefallenen Bundeswehr-Soldaten.

Draußen vor dem Tor der Blauen Moschee dösen Gläubige im Schatten. Die Ankunft von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) lässt sie nur kurz aufschrecken. Die Moschee im nordafghanischen Masar-i-Scharif ist ein Juwel der islamischen Baukunst, der Krieg ließ sie lange Zeit unerreichbar für westliche Kulturinteressierte werden. Westerwelle stattete ihr am Sonntag demonstrativ einen Besuch ab. Zum siebten Mal war der Minister in Afghanistan - und zum ersten Mal erlaubte er sich einen touristischen Abstecher. Zu riskant wäre das bei früheren Besuchen gewesen.

Mit Westerwelles Moscheebesuch verbindet sich eine Botschaft: Wenigstens der Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr stationiert ist, lässt Chaos und Gewalt hinter sich. Die Stadt Masar-i-Scharif zähle "heute zu den sichersten in ganz Afghanistan", sagt der Minister. Als Gradmesser für die Lage im ganzen Land taugt der Moscheebesuch aber nicht. Denn eineinhalb Jahre vor dem geplanten Abzug der internationalen Truppen ist die Lage in Afghanistan verfahren.

Westewelle: "Die Lage ist unverändert schwierig"

Am Samstag war Westerwelle in einer Militärmaschine in der Hauptstadt Kabul gelandet. Nach einem Gespräch mit Staatschef Hamid Karsai im festungsartig gesicherten Präsidentenpalast machte der Minister aus seiner Skepsis keinen Hehl.

Er kritisierte die Korruption und mahnte demokratische Reformen an. Dazu gehört vor allem, dass die Präsidentenwahl im April 2014 frei und fair abläuft - anders als bei früheren Gelegenheiten. Karsai selbst darf dann nicht mehr kandidieren. Und im Moment sieht es so aus, als würde sich der 55-Jährige, der praktisch seit dem Sturz des islamistischen Taliban-Regimes 2001 im Amt ist, daran halten. Aber große Illusionen macht sich nach zwölf Jahren Afghanistan-Einsatz keiner mehr.

Auch Westerwelle sagt: "Man muss leider auch mit weiteren Rückschlägen rechnen", sagte er. "Die Lage in Afghanistan ist unverändert sehr schwierig. Da bin ich sehr realistisch." An der Schlagkraft der afghanischen Armee bestehen erhebliche Zweifel, und die Gewalt dauert an. Am Tag von Westerwelles Besuch starben drei US-Soldaten bei einem Angriff. Insgesamt starben nun schon 54 Bundeswehr-Angehörige am Hindukusch. Westerwelle fügte aber auch noch hinzu: "Wir werden Afghanistan nicht im Stich lassen."

Hohe Ziele bis 2014

Umso wichtiger, dass es beim Terminplan für den Abzug der internationalen Kampftruppen bleibt. Bis Ende 2014 sollen sie Afghanistan verlassen haben. Von den derzeit noch mehr als 4200 deutschen Soldaten sollen dann maximal 800 bleiben - zur Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte. Aber noch gibt es dafür keine formale Bitte der Afghanen. Und auch ein Truppenabkommen, das den deutschen Soldaten wie bisher die Immunität vor dem afghanischen Rechtssystem garantiert, fehlt noch.

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Bis Ende 2014 haben sich Deutschland und die NATO-Verbündeten hohe Ziele gesetzt: eine schlagkräftige afghanische Armee aufbauen, den inneren Aussöhnungsprozess vorantreiben, die politische Spitze zu guter Regierungsführung verpflichten. Die Zeit dafür wird knapp. Die Afghanistan-Strategie der NATO basiert auf Erwartungen, die bis jetzt noch nicht eingetreten sind.

Schlüsselrolle für Pakistan

Hoffnung auf Bewegung in Afghanistan zieht Westerwelle aus dem Machtwechsel im benachbarten Pakistan, dem er am Wochenende ebenfalls einen Besuch abstattete. Als erster ausländischer Außenminister traf er mit dem neuen Regierungschef Nawaz Sharif zusammen, der sein Amt erst am Mittwoch angetreten hatte. Lob und Tadel verteilte Westerwelle dabei recht ungleich: Auf die Kritik an Afghanistan folgte in Islamabad ein Lob für Pakistans demokratischen Machtwechsel und das Angebot einer engeren Wirtschaftszusammenarbeit, die Pakistans marode Infrastruktur dringend benötigt.

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Deutschland misst Pakistan eine Schlüsselrolle im benachbarten Afghanistan zu. Armee und Geheimdienst in Pakistan sehen sich seit Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert, mit den radikalislamischen Taliban gemeinsame Sache zu machen, während sich Pakistans Regierung als Verbündeter des Westens gibt. Westerwelle forderte die Pakistaner auf, ihren großen Einfluss in Afghanistan positiv zu nutzen. Seine Gespräch seien in dieser Hinsicht "sehr ermutigend" verlaufen, berichtet Westerwelle. Ob Pakistans mächtiges Militär dem neuen Premier in diesem Punkt politischen Bewegungsspielraum gibt, ist freilich offen.

Den Plan zum Abzug der internationalen Truppen bis Ende 2014 würden die hartnäckigen Probleme in Afghanistan nicht infrage stellen, sagte Westerwelle. Dem militärischen Engagement solle eine lange Phase der zivilen Zusammenarbeit folgen.

Westerwelle gedenkt Bundeswehr-Angehörigen

Am Sonntag kehrte Westerwelle noch einmal kurz nach Afghanistan zurück: In Masar-i-Sharif weihte der Minister am Sonntag deshalb zunächst das erste deutsche Generalkonsulat ein und dann den mit deutscher Hilfe gebauten neuen Zivilflughafen. Zahlreiche Baustellen zeugen in Masar-i-Scharif von einem lokalen Wirtschaftsboom, der an die glorreiche Zeit der Stadt als uralte Handelsmetropole anknüpfen soll - immerhin ein Hoffnungsschimmer in einer explosiven Krisenregion.

Bei einem Besuch im Feldlager der Bundeswehr in Masar-i-Scharif gedachte Westerwelle der in Afghanistan getöteten deutschen Soldaten. Am sogenannten Ehrenhain erinnerte er am Sonntag an die insgesamt 54 Bundeswehr-Angehörigen, die bei dem seit 2001 laufenden Einsatz ums Leben kamen. Davon starben 35 bei Angriffen oder Anschlägen.

Seit kurzem befindet sich dort auch eine kleine Gedenktafel mit dem Vornamen des KSK-Soldaten, der Anfang Mai getötet wurde: Daniel, Hauptfeldwebel, 04.05.2013. Ursprünglich sollte der Name des Mitglieds des "Kommandos Spezialkräfte" komplett geheim gehalten werden. (afp/dpa)