Essen. FDP-Landeschef Christian Lindner fordert von Rot-Grün neue Tarifgespräche mit den Staatsdienern. Außerdem solle die NRW-Regierung endlich grünes Licht für das Kraftwerk Datteln geben. Im Interview verlangt Lindner zudem Vorschläge für eine Strompreisbremse.

Seit seiner spektakulären Rückkehr in die Landespolitik vor einem Jahr gilt der Chef der NRW-FDP, Christian Lindner (34), als der eigentliche Oppositionsführer in NRW. Die Beamtenproteste gegen die Landesregierung und das Ächzen der NRW-Wirtschaft unter der Energiewende verschaffen ihm Oberwasser, wie bei seinem Redaktionsbesuch nicht zu übersehen war.

Seit die Beamten in NRW gegen die Sparpläne von Rot-Grün auf die Straße gehen, singen Sie das hohe Lied auf den Öffentlichen Dienst. Opposition ist doch nicht Mist, oder?

Christian Lindner: Mir geht es um Leistungsgerechtigkeit. Die haben auch unsere Landesbeamten verdient. Die Beschäftigten haben in der Vergangenheit bereits einen großen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet. Wann, wenn nicht in Zeiten rekordverdächtiger Steuereinnahmen, sollten sie ihren fairen Anteil am Aufschwung erhalten? Ich appelliere an die Ministerpräsidentin, die Beschäftigten des Landes nicht länger kalt abtropfen zu lassen, sondern das Gespräch zu suchen und Möglichkeiten einer Einigung auszuloten. Wenn Zehntausende Staatsdiener in Demonstrationen und Unterschriftenaktionen ihrer Verärgerung Luft machen, offenbart das einen Wort- und Vertrauensbruch von Frau Kraft.

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Rot-Grün betrachtet die Nullrunden für die höher besoldeten Beamten als Beschäftigungssicherung. Wäre Ihnen Stellenabbau als Alternative lieber?

Lindner: Für Rot-Grün gehört man ab 3200 Euro brutto im Monat zu den Vielverdienern, die nicht einmal einen Inflationsausgleich verdient haben. Das ist die Mitte der Gesellschaft. Wir haben stets gesagt, dass die Landesverwaltung sozialverträglich um zwei Prozent pro Jahr schrumpfen kann. Auch die Landesbetriebe haben ihren Beitrag zu leisten. Und es muss Schluss sein mit dem Aufblähen gerade der Apparate der Grünen. Allein in diesem Jahr werden 76 neue Stellen in den Ministerien geschaffen, ohne dass Rot-Grün sagt, wofür. Das ist das völlig falsche Signal, wenn zeitgleich die Belegschaft von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden soll.

Rot-Grün will bei der Bundestagswahl höhere Steuern für Wenige, um den Staat auskömmlicher zu finanzieren. Was ist daran falsch?

Lindner: Beides. Weder wären wenige betroffen, noch hat der Staat ein Einnahmeproblem. Es wird über Steuern für Banker und Manager gesprochen, betroffen sind aber schon qualifizierte Facharbeiter und Arbeitsplätze im Mittelstand. Auch die Sozialabgaben sollen erhöht werden. Wofür? In NRW verschießt Rot-Grün seit 2010 Rekordeinnahmen so konzeptlos, dass trotz verfassungswidriger Neuverschuldung Geld für Landesstraßen oder Vertretungsunterricht an Schulen fehlt. Frau Kraft entpuppt sich als Sozialrhetorikerin, die ihren wärmenden Worten keine sozialen Taten folgen lässt.

Bund und Länder haben sich bislang nicht auf eine Strompreisbremse verständigen können. Ist das Thema tot?

Lindner: Ich bedaure, dass es keine Einigungsbereitschaft seitens der Länder gibt, weil die Grünen sich als verlängerter Arm der Solarlobby begreifen. Die Förderung von Photovoltaik und Windenergie verschlingt schon jetzt mehr Subventionen, als je in die deutsche Steinkohle geflossen sind. Die Fehlanreize des EEG will die FDP durch Wettbewerb ersetzen. Mit jedem Tag, der ungenutzt bleibt, werden neue Ansprüche aufgebaut. Gerade NRW als Industrieland Nummer eins kann es sich nicht erlauben, dass Frau Kraft und ihr Wirtschaftsminister jeden substanziellen Vorschlag vermissen lassen. Die ersten Industrie- und Handelskammern weisen bereits darauf hin, dass die Entwicklung der Energiepreise absehbar zu Arbeitsplatzverlusten und Produktionsverlagerungen führen wird.

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In NRW zeichnet sich ein zweiter Planungsanlauf für das gerichtliche gestoppte neue Steinkohlekraftwerk „Datteln IV“ ab. Ist das Projekt zu retten?

Lindner: Das Land muss endlich die landesplanerischen Voraussetzungen schaffen, dass diese Milliardeninvestition ans Netz kann. Bei der Genehmigung des modernsten Steinkohlekraftwerks Europas hat es von verschiedener Seite Fehler gegeben, die zu heilen sind, wenn sich die SPD nicht länger von den Grünen blockieren lässt. Die FDP würde alle für Datteln notwendigen planungsrechtlichen Entscheidungen unterstützen.

Lindner: "Es ist nicht die Zeit für ein abschließendes Ja oder Nein zum Fracking." 

Ein energiepolitisches Streitthema bleibt die mögliche Förderung von Schiefergas in NRW. Warum wirkt selbst die FDP so zögerlich beim „Fracking“?

Lindner: Die NRW-FDP sieht sich in einer vermittelnden Rolle: Wir wollen die Potenziale unkonventioneller Gas-Lagerstätten ermitteln, aber keine Risiken für Trinkwasser eingehen. Wir brauchen weitere Erkenntnisse, um zu wissen, was irgendwann gestattet oder verboten werden sollte. Es ist nicht die Zeit für ein abschließendes Ja oder Nein zum Fracking.

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Unterstützen Sie den Fracking-Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett verabschieden will?

Lindner: Es sind erhebliche Verbesserungen für den Wasserschutz erreicht worden. Es wird bei konkreten Genehmigungsverfahren darauf ankommen, die bundesgesetzlichen Möglichkeiten mit den örtlichen Wasserbehörden ökologisch verantwortbar zu nutzen.

Braucht Deutschland zur Bewältigung der Energiewende ein eigenes „Energieministerium“?

Lindner: Ich bin schon lange der Auffassung, dass wir alle energiepolitischen Kompetenzen im Wirtschaftsministerium bündeln müssten. Die Abstimmungsprobleme im Bundeskabinett und die Blockade des rot-grün dominierten Bundesrats machen die Energiewende teurer und riskanter, als sie sein müsste.

Sie persönlich treten seit Jahren für einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik ein. Der Fachkräftemangel in Deutschland erhöht den Handlungsdruck.

Lindner: Die Bundesregierung sollte sich für die kommende Legislaturperiode ein neues Zuwanderungsrecht vornehmen, mit dem wir mehr Menschen außerhalb Europas einladen, mit uns zu leben und Wohlstand zu erarbeiten. Die FDP ist für ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild, mit dem sich Qualifikation und Integrationswahrscheinlichkeit identifizieren lassen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass unser bislang skeptischer Koalitionspartner eine der berühmten 180-Grad-Wenden auch auf diesem Feld vollzieht.