Düsseldorf. . FDP-Landeschef Christian Lindner und der der Linkspartei nahestehende Armutsforscher Christoph Butterwegge diskutierten in Düsseldorf über die Krise des Kapitalismus. Der eine nennt sich neoliberal, der andere will den Reichen ans Geld. Dabei hat Butterwegge früher mal FDP gewählt.
„Alternativlos“ lautet die Bequemlichkeitsvokabel der deutschen Politik. Der Richtungsstreit gilt als vorgestrig, die „Mitte“ ist der Sehnsuchtsort der Parteistrategen. Es bedarf schon ungewöhnlicher Konstellationen, um statt symbolischer Spiegelfechtereien eine harte inhaltliche Auseinandersetzung heraufzubeschwören. Zum Beispiel eine Begegnung von Christian Lindner und Christoph Butterwegge.
Der smarte, 34-jährige Chef der NRW-FDP und der provokante, 62-jährige Politikprofessor der Universität Köln sind auf Einladung des „Liberalen Netzwerks“ in den vornehmen Düsseldorfer Industrieclub gekommen, um über die Krise des Kapitalismus zu diskutieren. Hier der rhetorisch beschlagene Liberale, dort der linke Armutsforscher.
„Ich bin ein Neoliberaler, und das ist auch gut so“
Dazwischen WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz als Moderator, der Lindner gleich zu Beginn ein unzeitgemäßes Bekenntnis entlockt: „Ich bin ein Neoliberaler, und das ist auch gut so.“ Der FDP-Mann versieht seine Selbstbeschreibung rasch mit allerhand Fußnoten: Er sei eben kein „Steinzeitliberaler“, der allein dem Markt vertraut und staatliche Regulierung für schädlich hält.
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Die weltanschauliche Distanz zu Butterwegge könnte dennoch kaum größer sein. „Der rheinische Kapitalismus hat sich zu einem schweinischen Kapitalismus gewandelt“, ruft der Professor, der einmal eine Heimat in der SPD hatte und heute mit einer Politikerin der Linkspartei verheiratet ist. Raunen im Publikum, das aus mehreren Hundert Unternehmern, Anwälten und FDP-Sympathisanten bestehen dürfte. „Ich weiß, dass ich hier kein Heimspiel habe“, sagt Butterwegge.
„40 Millionen sind nur eine Kündigung von der Armut entfernt“
Der Politologe kann sich über Beschäftigungsrekorde, Exportstärke und Stabilität der Bundesrepublik nicht freuen, da er sie mit Niedriglöhnen, Verteilungsungerechtigkeiten und auf Kosten ärmerer EU-Südländer erkauft sieht. Butterwegge beklagt eine Amerikanisierung der deutschen Gesellschaft mit wenigen Reichen und Privilegierten, vererbtem Status und vielen Minderbegüterten. „40 Millionen Menschen in Deutschland haben praktisch kein Vermögen und sind nur eine Kündigung von der Armut entfernt.“ Um zu demonstrieren, wie sehr sich die politischen Koordinaten im Land verschoben haben, verrät Butterwegge: „Ich habe 1972 sogar einmal FDP gewählt.“
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Lindner räumt ein, dass der „Vollkasko-Kapitalismus“ vieler Banken auf eine „Verantwortungswirtschaft“ zurückgeschnitten werden musste, in der Milliardenverluste nicht mehr einfach den Steuerzahlern aufgebürdet werden können. „Die Haftungsübernahme als Kernbestandteil der sozialen Marktwirtschaft ist die natürliche Risikobremse“, findet Lindner. „Wo war denn die liberale Rebellion gegen Fehlentwicklungen?“, stichelt Moderator Reitz.
Reichtum antasten, nicht nur bei den Geissens
Auf das mittelständisch geprägte Unternehmertum lässt Lindner jedenfalls nichts kommen. Nicht alle Vermögenden in Deutschland seien wie die neureichen „Geissens“ aus der gleichnamigen RTL-Dokusoap, die das Prassen zum Prinzip erhoben haben. Für Butterwegge steht dennoch fest: „Wer wirksam Armut bekämpfen will, muss Reichtum antasten.“
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Sein Rezept: 60 Prozent Spitzensteuersatz ab 600.000 Euro Einkommen, verfassungsfeste Vermögensteuer unter Einschluss von Betriebsvermögen, hohe Erbschaftssteuern. Gerade an der Erbschaftssteuer verhaken sich Lindner und Butterwegge immer wieder. Der Liberale sieht familiäre Betriebsübergänge in Gefahr und leistungsfeindliche Ungerechtigkeiten, da es sich beim Erbe ja um bereits versteuertes Geld handele. Butterwegge kontert, bei jedem Einkauf zahle man die Mehrwertsteuer ebenfalls aus seinem bereits versteuerten Einkommen. Außerdem sei der Erblasser tot, nur die Empfänger des unverdienten Reichtums würden zur Kasse gebeten. Reitz erinnert Lindner daran, dass man gleiche Startchancen für alle auch als urliberalen Wert betrachten könne.
Inzwischen duzen sich die Kontrahenten
So wird munter eineinhalb Stunden gezankt, ohne dass dabei persönliche Wunden geschlagen würden. Lindner und Butterwegge, die anschließend beim Glas Wein zusammensitzen, sind inzwischen sogar Duz-Freunde. „Dann tun die gegenseitigen Treffer nicht so weh“, sagt Lindner.