Budapest. . Der Jüdische Weltkongress tagt in Ungarn, um ein Zeichen gegen den Antisemitismus im Land zu setzen. Die jüdischen Delegierten aus aller Welt sind enttäuscht vom Regierungschef Viktor Orbán. Einem Redner aus Deutschland spenden sie dagegen Minuten lang Beifall.

Wie judenfeindlich ist Ungarn? Und wie groß ist die Bereitschaft der ungarischen Regierung, gegen Antisemitismus vorzugehen? Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat den zunehmenden Antisemitismus in seinem Land jetzt scharf verurteilt. Judenfeindlichkeit sei „nicht akzep­tabel“, sagte Orbán beim Treffen des Jüdischen Weltkongresses (WJC) am Sonntagabend in Budapest. Was sein Publikum aber vor allem von Orbán hören wollte, sagte er nicht.

Er rang sich nicht zu einer ausdrücklichen Verurteilung der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik durch, wie sie der Weltkongress gefordert hatte. Stattdessen verwies der in Europa umstrittene Regierungschef auf Schritte seiner konservativen Regierung, um die Erinnerung an den Holocaust zu wahren. Dem Völkermord im Zweiten Weltkrieg fiel etwa eine halbe Million ungarische Juden zum Opfer.

Der Jüdische Weltkongress kritisierte Orbán: Er habe sich dem wahren Problem nicht gestellt, nämlich der Bedrohung durch Antisemiten im Allgemeinen und durch die Partei Jobbik im Besonderen. „Wir bedauern, dass Herr Orbán keine der jüngsten antisemitischen oder rassistischen Vorfälle in dem Land thematisiert hat“, erklärte die Vereinigung.

Jobbik propagierte am Samstag seine Idee von der Weltverschwörung

Weit hätte Orbán dafür nicht zurückblicken müssen: Erst am Samstag waren mehrere Hundert Jobbik-Anhänger durch Budapest marschiert, um gegen den WJC zu demonstrieren. Der Vorsitzende der Partei, die über 43 der 386 Sitze im Parlament verfügt, richtete dabei an den WJC die Forderung, sich für die Opfer der kommunistischen Herrschaft in Ungarn zu entschuldigen – es war die alte Propaganda von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung.

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Am Montagmorgen sprach in Budapest dann der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vor dem Jüdischen Weltkongress. Seine Rede unterschied sich: Westerwelle sprach die Jobbik-Partei an. „Es gibt keinen Platz für Antisemitismus – weder in Berlin noch in Budapest noch irgendwo anders in Europa oder der Welt“, betonte er. Nach seiner Rede erhoben sich die Mitglieder des Weltkongresses und applaudierten ihm im Stehen.

„Herr Westerwelle ist ein wahrer Freund Israels“

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, äußerte sich begeistert über die Rede. „Herr Westerwelle ist ein wahrer Freund Israels und der jüdischen Gemeinschaft. Seine Rede war eine kraftvolle Botschaft, die hoffentlich in Budapest vernommen und in praktische politische Entscheidungen umgesetzt wird“, sagte Graumann. Der Zentralratsvorsitzende war selbst in Budapest und wurde zum WJC-Vizepräsidenten gewählt.

Der Jüdische Weltkongress ist die weltweite Dachorganisation für Juden, die außerhalb Israels in der Diaspora leben. Seine Vollversammlung tagt alle vier Jahre. Die laufende in Budapest ist die erste überhaupt in einem Land des ehemaligen Ostblocks. Ungarn wurde dabei bewusst gewählt: Es hat mit rund 100.000 Personen die viertgrößte jüdische Bevölkerung in Europa. Und wegen des Antisemitismus in dem Land wollten der Weltkongress und sein Präsident Ronald Lauder ein Zeichen setzen. Dieter Graumann drückte es so aus: „Wir lassen uns nicht einschüchtern und stehen geschlossen an der Seite der ungarischen Juden.“ (rtr,afp, abe)