Berlin/Budapest. Nach den viel kritisierten Verfassungsänderungen in Ungarn kommt es nun auf Präsident Ader an. Der rechtskonservative Politiker muss sich bei seinem Deutschland-Besuch einige Kritik gefallen lassen. Am Montag hatte Ungarns Parlament unter anderem beschlossen, Obdachlosigkeit unter Strafe zu stellen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich besorgt über die Verfassungsänderungen in Ungarn geäußert. Bei einem Treffen mit Ungarns Staatspräsident Janos Ader am Dienstag in Berlin habe die Kanzlerin die umstrittenen Beschlüsse des Parlaments "kritisch" angesprochen, hieß es anschließend aus deutschen Regierungskreisen. Auf eine gemeinsame Pressebegegnung im Anschluss an das Treffen verzichteten beide Seiten.

Mit den Stimmen der rechtskonservativen Regierungsmehrheit hatte das ungarische Parlament weitreichende Verfassungsänderungen beschlossen. Sie ermöglichen etwa die Einschränkung von Befugnissen des Verfassungsgerichts und einen stärkeren Eingriff der Regierung in die Justiz und ins Hochschulwesen. Andere Bestimmungen erheben Gesetze in den Verfassungsrang, die zuvor vom Verfassungsgericht gekippt wurden. Darunter fallen die willkürliche Zuteilung des Kirchenstatus durch die Regierungsmehrheit im Parlament und das Verbot von Wahlwerbung im privaten Fernsehen. Außerdem wird Obdachlosigkeit unter Strafe gestellt.

Human Rights Wachts fordert EU zum Handeln auf

Europaweit gibt es daran viel Kritik. "Diese Änderungen werfen Bedenken auf bezüglich des Respekts für das Rechtsstaatsprinzip, für das EU-Recht und die Standards des Europarates", schrieb etwa Kommissionschef José Manuel Barroso am Montag in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte die EU auf, gegen das mitteleuropäische Mitgliedsland einzuschreiten. "Die letzten Veränderungen lassen keinen Zweifel daran, dass die ungarische Regierung den Rechtsstaat nicht respektiert", hieß es in einer Erklärung der Organisation, die am Dienstag in Brüssel veröffentlicht wurde. "Der Drang der Regierung, das Verfassungsgericht zu umgehen und die Verfassung für ihre eigenen politischen Ziele zu instrumentalisieren, unterstreicht den Bedarf für eine abgestimmte Antwort der EU."

Präsident Ader muss die Verfassungsänderung unterschreiben

Damit die Verfassungsänderungen in Kraft treten können, muss Ader sie als Staatsoberhaupt unterschreiben. Er gehört der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz an.

Die Demokratie in Ungarn retten

Viktor Orbán ist kein Diktator und Ungarn kein autoritäres Regime. Dennoch bewegt sich der rechtskonservative Regierungschef mit der Änderung der Verfassung im Grenzbereich der Demokratie. Da Orbán wohl selbst nicht erwartet, bei den Wahlen 2014 wieder eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten, will er seine Macht zementieren.

Das Verfassungsgericht war bis jetzt die letzte Instanz, die seine Gesetzesvorhaben blockieren konnte. Dass es nun Änderungen des Grundgesetzes nur noch formal und nicht inhaltlich überprüfen darf, ist ein massiver Einschnitt. Inwiefern sich Orbán auf eine Entschärfung der Änderungen einlässt, wie er sie bereits beim umstrittenen Mediengesetz zugelassen hat, hängt von den EU-Mitgliedern und Ungarns Staatspräsidenten János Áder ab. Tragen sie ihre Bedenken so vor, dass Orbán sein Gesicht wahren kann, kann vielleicht ein Stück Demokratie gerettet werden.

Merkel mahnte den Angaben zufolge in dem Gespräch, die Sorgen der europäischen Partner und Freunde Ungarns ernst zu nehmen. Sie habe gegenüber Ader für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Zweidrittelmehrheit geworben, über die die Regierung von Ministerpräsident Victor Orban im Parlament verfügt, hieß es.

"Kontroverser Meinungsaustausch" mit Westerwelle

Zuvor hatte sich der Präsident mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP) getroffen. Das Auswärtige Amt sprach anschließend von einem "offenen und in Teilen durchaus kontroversen Meinungsaustausch". Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte nach einem Gespräch mit Ader, es gelinge offensichtlich nicht, die Öffentlichkeit in Deutschland und Europa von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der neuerlichen Verfassungsänderung in Ungarn zu überzeugen.

Ader hielt sich zu einem zweitägigen Besuch in Deutschland auf. Der ehemalige Europa-Abgeordnete war im Mai 2012 zum ungarischen Präsidenten gewählt worden. (dpa)