Athen. . Im Zuge der Schuldenkrise kommt in Griechenland eine Jahrzehnte alte Einnahmequelle wieder in den Blick: Es geht um Reparationssleistungen für Kriegsschäden aus den Jahren 1941 bis '44 - die Zeit unter der deutschen Besatzung. Griechenland könnte von Deutschland bis zu 300 Milliarden Euro fordern.
Es geht um Geld, sehr viel Geld: 100, 160, vielleicht sogar 300 Milliarden Euro. So viel schuldet Deutschland angeblich den Griechen für Massaker und Zerstörungen, die deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Griechenland anrichteten. 68 Jahre nach Kriegsende ist das Thema der deutschen Reparationen aus Sicht vieler Griechen aktueller denn je. Aber die Athener Regierung scheint nicht so recht zu wissen, wie sie mit der heiklen Sache umgehen soll.
Dass im Zuge der griechischen Schuldenkrise die Reparationsfrage wieder auf die Tagesordnung kommen würde, war abzusehen. Das, was viele Griechen als „Merkels Spardiktat“ empfinden, weckt seit drei Jahren antideutsche Emotionen. Oppositionsparteien, vom radikal-linken Bündnis Syriza bis zu den rechts-nationalistischen Unabhängigen Griechen, drängen die Regierung, Deutschland endlich mit seiner Schuld und seinen Schulden zu konfrontieren.
Bericht zu Reparationsforderungen ist "streng geheim"
Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, setzte Finanzminister Giannis Stournaras nach der Wahl vom vergangenen Juni eine Arbeitsgruppe ein, die auflisten sollte, um welche Forderungen es geht. Anfang März lieferten die Prüfer ihren Bericht ab. Er umfasst 80 Seiten und ist als „Streng geheim“ klassifiziert.
War bisher nur von Reparationen für die Besatzungsjahre 1941 bis ‘44 die Rede, lässt die griechische Regierung nun auch Forderungen aus der Zeit des 1. Weltkriegs prüfen, wie das Athener Außenministerium diese Woche mitteilte. Damit könnte sich die Summe dramatisch erhöhen – wegen der seit 1918 aufgelaufenen Zinsen. Auf welchen Betrag der Bericht die Reparationsforderungen beziffert, ist unbekannt. Aber Zahlen kursieren seit Jahren.
Das Leid der Griechen
Der frühere Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der zum Nationalhelden wurde, als er in der Nacht zum 30. Mai 1941 die Hakenkreuzfahne auf der Akropolis einholte und dort die Griechenflagge hisste, beziffert sie auf 108 Milliarden Euro. Hinzu kommen 54 Milliarden für einen Zwangskredit bei der Bank von Griechenland, mit dem die Deutschen den Griechen auch noch die Kosten für die Verpflegung und den Sold der Besatzungssoldaten aufbürdeten. Unter dem Strich wären das 162 Milliarden Euro. Andere Schätzungen gehen von etwa 300 Milliarden aus.
Viel Geld – aber auch viel Leid: In den dreieinhalb Besatzungsjahren wurden etwa 130.000 griechische Zivilisten ermordet, darunter Frauen, Kinder und Greise – meist als „Sühnemaßnahmen“ für Partisanenangriffe. 70.000 griechische Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. 300.000 Griechen erfroren und verhungerten, weil die Deutschen Lebensmittel und Brennstoffe konfisziert hatten. 500.000 Wohnungen, 50 Prozent der Industrie und 75 Prozent des Straßen- und Schienennetzes wurden zerstört.
Die griechische Regierung steckt im Dilemma
1960 zahlte Deutschland 115 Millionen DM Entschädigung. Das Geld war vor allem für die Hinterbliebenen der ermordeten Juden bestimmt. Auf Reparationen für die Schäden und die Rückzahlung der Zwangsanleihe warten die Griechen bis heute vergeblich. Nach offizieller deutscher Lesart hat sich das Thema erledigt. Fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende stelle sich die Frage deutscher Reparationen nicht mehr, heißt es. Griechenland dagegen betrachtet das Thema als offen: Man behalte sich vor, „eine befriedigende Lösung zu finden“, erklärte kürzlich Vize-Finanzminister Christos Staikouras.
Die griechische Regierung befindet sich in der Reparationsfrage allerdings in einem Dilemma. Ein Verzicht auf die Reparationsforderungen würde in Griechenland einen Sturm der Empörung auslösen. Andererseits will Ministerpräsident Antonis Samaras sein gerade erst mühsam repariertes Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mit Milliardenforderungen belasten.