Berlin. . Der SPD-Kanzlerkandidat macht Wahlkampf mit jungen Schauspielern vor einem bunten Publikum. Er versucht locker zu sein und ist vorsichtig geworden – abfällige Sprüche über preiswerte Weine kommen nicht mehr über seine Lippen. Bei zehn Länderreisen durch Deutschland will er zeigen: Ich kann auch anders.

Peer Steinbrück liegt hinter einem Vorhang in einem Bad von weißen Plastikkugeln, fast Kopf an Kopf mit Antonia (19). Sie blicken an die Decke, sie wollen jetzt über die Zukunft reden. „Peer“, fragt ­Antonia, „welchen Song würdest Du in die Zukunft mitnehmen?“ ­

Lächelnd sagt der SPD-Kanzler­kandidat: „Walk on the wild side“, den Klassiker von Songwriter Lou Reed. Und welche drei Dinge würde er mit auf eine Insel nehmen? „Ein Taschenmesser“, fängt Steinbrück an, „Krieg und Frieden von Leonid Tolstoi und eine Flasche Rotwein.“

Es klingt alles ganz locker, doch nun will es Antonia genau wissen. Welchen Rotwein? Und plötzlich ist Steinbrück auf der Hut: „Ich ­nenne jetzt keine Marke und über Preise rede ich schon gar nicht.“ Steinbrück ist vorsichtig geworden, er will nicht wieder Ärger haben ­wegen despektierlicher Äußerungen wie im Dezember, als er ­erklärte, er kaufe keine Flasche ­Pinot Grigio für nur fünf Euro.

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück

Fünf Jahre lang gehörte Peer Steinbrück dem Kabinett von Heide Simonis in Schleswig-Holstein an, 1998 wechselte der gebürtige Hamburger nach NRW, wo er schon als Beamter gearbeitet hatte. Er wurde zunächst Wirtschafts- und Verkehrsminister unter Wolfgang Clement, der ihm hier die Hand schüttelt.
Fünf Jahre lang gehörte Peer Steinbrück dem Kabinett von Heide Simonis in Schleswig-Holstein an, 1998 wechselte der gebürtige Hamburger nach NRW, wo er schon als Beamter gearbeitet hatte. Er wurde zunächst Wirtschafts- und Verkehrsminister unter Wolfgang Clement, der ihm hier die Hand schüttelt. © dpa
Peer Steinbrück bei seiner Vereidigung im Landtag
Peer Steinbrück bei seiner Vereidigung im Landtag © dpa
Im Jahr 2000 wechselte Steinbrück ins Düsseldorfer Finanzministerium. Der Job machte ihm offenbar Spaß, obwohl er...
Im Jahr 2000 wechselte Steinbrück ins Düsseldorfer Finanzministerium. Der Job machte ihm offenbar Spaß, obwohl er...
...wegen seiner Haushaltspolitik von der Opposition scharf kritisiert wurde.
...wegen seiner Haushaltspolitik von der Opposition scharf kritisiert wurde. © dpa
Selbstzufriedener Blick in die Zukunft: Als Ministerpräsident Wolfgang Clement als Gerhard Schröders
Selbstzufriedener Blick in die Zukunft: Als Ministerpräsident Wolfgang Clement als Gerhard Schröders "Superminister" nach Berlin wechselte, war... © dpa
...der Weg für Steinbrück frei: Er wurde neuer Ministerpräsident in NRW.
...der Weg für Steinbrück frei: Er wurde neuer Ministerpräsident in NRW. © dpa
Als Ministerpräsident in NRW (hier bei der Vereidigung) kam auch der als distanziert geltende Steinbrück...
Als Ministerpräsident in NRW (hier bei der Vereidigung) kam auch der als distanziert geltende Steinbrück... © dpa
...nicht um Kontakt zum Wahlvolk herum. Offenbar machten ihm solche Termine, wie hier im Bergwerk Ost, sogar Spaß.
...nicht um Kontakt zum Wahlvolk herum. Offenbar machten ihm solche Termine, wie hier im Bergwerk Ost, sogar Spaß.
Naja, vielleicht immerhin ein bisschen. Er musste sich aber nicht jeden Tag schmutzig machen, denn als Ministerpräsident...
Naja, vielleicht immerhin ein bisschen. Er musste sich aber nicht jeden Tag schmutzig machen, denn als Ministerpräsident...
...begrüßte Peer Steinbrück auch manch prominenten Gast, darunter auch Queen Elisabeth II.
...begrüßte Peer Steinbrück auch manch prominenten Gast, darunter auch Queen Elisabeth II. © Getty Images
Fußball-Idol, Frauenschwarm oder beides? Auf einem Kongress für Mädchen- und Frauenfußball gibt Steinbrück ein Autogramm - stilecht auf dem Lederball.
Fußball-Idol, Frauenschwarm oder beides? Auf einem Kongress für Mädchen- und Frauenfußball gibt Steinbrück ein Autogramm - stilecht auf dem Lederball. © Bongarts/Getty Images
Peer Steinbrück mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Frühjahr 2005 hofften beide noch, dass...
Peer Steinbrück mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Frühjahr 2005 hofften beide noch, dass... © Getty Images
...die SPD in NRW an der Macht bleiben könnte. Dafür warf sich der knurrige Hanseat in den Wahlkampf, so wie hier in Duisburg.
...die SPD in NRW an der Macht bleiben könnte. Dafür warf sich der knurrige Hanseat in den Wahlkampf, so wie hier in Duisburg. © Getty Images
Der 22. Mai 2005 wurde für Peer Steinbrück und die SPD zum Tag der Wahrheit. Das Bild zeigt ihn mit seinen Töchtern und seiner Ehefrau auf dem Weg zur Wahlurne.Abends stand fest, dass...
Der 22. Mai 2005 wurde für Peer Steinbrück und die SPD zum Tag der Wahrheit. Das Bild zeigt ihn mit seinen Töchtern und seiner Ehefrau auf dem Weg zur Wahlurne.Abends stand fest, dass... © Getty Images
...der Kampf nichts gebracht hatte. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers hatte sich durchgesetzt. Peer Steinbrück gratuliert.
...der Kampf nichts gebracht hatte. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers hatte sich durchgesetzt. Peer Steinbrück gratuliert. © Getty Images
Der Wahlkampf in NRW ist zu Ende, doch quasi zeitgleich beginnt ein neuer: Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft nach der Wahlniederlage seiner SPD in NRW zu Neuwahlen des Bundestags auf.
Der Wahlkampf in NRW ist zu Ende, doch quasi zeitgleich beginnt ein neuer: Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft nach der Wahlniederlage seiner SPD in NRW zu Neuwahlen des Bundestags auf. © Getty Images
Die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst 2005 machte Angela Merkel zur Kanzlerin und Peer Steinbrück zum Finanzminister. Im November...
Die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst 2005 machte Angela Merkel zur Kanzlerin und Peer Steinbrück zum Finanzminister. Im November... © Getty Images
...wurde er von Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt.
...wurde er von Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt. © Getty Images
Damals noch als Team, heute sind sie Gegner: Steinbrück und Merkel.
Damals noch als Team, heute sind sie Gegner: Steinbrück und Merkel. © Getty Images
Fußballfan Peer Steinbrück beim WM-Halbfinale 2006 im Dortmunder Stadion.
Fußballfan Peer Steinbrück beim WM-Halbfinale 2006 im Dortmunder Stadion. © Bongarts/Getty Images
Peer Steinbrück bei einer Kabinettssitung mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Peer Steinbrück bei einer Kabinettssitung mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). © Getty Images
Seit 37 Jahren ist Peer Steinbrück mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Das Bild zeigt sie beim Besuch des Bundespresseballs.
Seit 37 Jahren ist Peer Steinbrück mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Das Bild zeigt sie beim Besuch des Bundespresseballs. © Getty Images
Steinbrück beim Tanz mit Boxerin Regina Halmich.
Steinbrück beim Tanz mit Boxerin Regina Halmich. © Bongarts/Getty Images
In der Finanzkrise wurde Finanzministerminister Steinbrück für die Kanzlerin immer wichtiger. Im Oktober 2008 garantierten sie den Bundesbürgern: Die Spareinlagen sind sicher. Damit verhinderte die Regierung einen möglichen Sturm auf die Banken, der einen Kollaps der Wirtschaft hätte bedeuten können.
In der Finanzkrise wurde Finanzministerminister Steinbrück für die Kanzlerin immer wichtiger. Im Oktober 2008 garantierten sie den Bundesbürgern: Die Spareinlagen sind sicher. Damit verhinderte die Regierung einen möglichen Sturm auf die Banken, der einen Kollaps der Wirtschaft hätte bedeuten können. © Getty Images
Mit der Bundestagswahl 2009 endete die...
Mit der Bundestagswahl 2009 endete die... © Getty Images
...Große Koalition. Aus dem Finanzminister Steinbrück, der von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde erhält, wurde...
...Große Koalition. Aus dem Finanzminister Steinbrück, der von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde erhält, wurde...
...der Abgeordnete Steinbrück: Zum ersten Mal zog er als Parlamentarier in den Bundestag ein, musste aber zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen.
...der Abgeordnete Steinbrück: Zum ersten Mal zog er als Parlamentarier in den Bundestag ein, musste aber zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen. © Getty Images
Schon mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 diskutierte die Öffentlichkeit über die
Schon mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 diskutierte die Öffentlichkeit über die "K-Frage" der SPD. Schnell kristallisierte sich heraus: Einer aus der "Troika" Steinbrück, Steinmeier und Gabriel sollte es machen. © Getty Images
Ende September fiel dann die Entscheidung zugunsten von Steinbrück. Auf einem Nominierungsparteitag bestätigten die Mitglieder seine Kandidatur mit großer Mehrheit.
Ende September fiel dann die Entscheidung zugunsten von Steinbrück. Auf einem Nominierungsparteitag bestätigten die Mitglieder seine Kandidatur mit großer Mehrheit. © Getty Images
Seitdem kämpft Steinbrück mit zahlreichen Fettnäpfchen und Skandälchen, auch wenn...
Seitdem kämpft Steinbrück mit zahlreichen Fettnäpfchen und Skandälchen, auch wenn... © Getty Images
...der Kandidat selbst vieles davon nicht so ernst nehmen mag, sondern lieber seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen unterstützt.
...der Kandidat selbst vieles davon nicht so ernst nehmen mag, sondern lieber seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen unterstützt. © Getty Images
Bis zur Bundestagswahl muss Steinbrück noch Überzeugungsarbeit beim Wähler leisten: Noch liegt Angela Merkels CDU deutlich vor Steinbrück und der SPD.
Bis zur Bundestagswahl muss Steinbrück noch Überzeugungsarbeit beim Wähler leisten: Noch liegt Angela Merkels CDU deutlich vor Steinbrück und der SPD. © Getty Images
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Länderreise in den Wahlkampf

Denn dies ist kein privater Plausch, es ist Teil eines ungewöhnlichen Wahlkampfes. Steinbrück liegt mit der angehenden Schauspielschülerin Antonia Münchow auf einer Bühne des Deutschen Theaters in Berlin, der Zuschauerraum ist dicht gefüllt. Bei einer „Länderreise“ genannten Tour durch die Hauptstadt besucht der Kanzlerkandidat auch die Proben eines Projekts, bei dem zehn ­Jugendliche darstellen, wie sie sich die Zukunft im Jahr 2035 vorstellen. Sie spielen in weißen Schutzan­zügen Theater, und Steinbrück spielt im grauen Zwirn auf seine Weise mit: Für ihn ist diese Begegnung der Vorlauf eines neuen Wahlkampfabschnitts.

Am übernächsten Wochenende, mit dem Programmparteitag in Augsburg, soll die Mobilisierungsphase der SPD starten, Steinbrück will endlich den ­Abstand zu Kanzlerin Merkel ver­kleinern. In den nächsten Wochen wird er sein Kompetenzteam vorstellen, eine Gruppe von etwa acht Schattenministern.

Familie, Gleichstellung, Kultur – Peer und die weichen Themen

Zehn Länderreisen plant der Kanzlerkandidat bis Mai. Sein Profil als Finanzfachmann soll ergänzt werden durch die gezielte Beschäftigung mit weicheren Themen: Familie, Gleichstellung, Kultur. In Berlin prägt die Kreativwirtschaft – Plattenfirmen, Theater, Radio – sein Reiseprogramm. Heute reist der Kandidat zu politischen Gesprächen nach Paris, am Freitag wird er dort auch Präsident François ­Hollande treffen. Es läuft eigentlich nicht schlecht mit der Kampagne.

Allein, in den Umfragen wirkt sich das nicht aus, Steinbrück und seine Partei legen allen Mühen zum Trotz nicht zu. Weil Rot-Grün aktuell eine Mehrheit fehlen würde, werden in den eigenen Reihen die ersten Spitzenleute nervös.

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Zwischen SPD und Grünen gibt es gereizte ­Töne, gegenseitig verdächtigt man sich Koalitionsplänen mit der CDU. Und der Berliner SPD-Landeschef Jan Stöss hat zu Ostern als erster Genosse offen für eine rot-grüne Minderheitsregierung auf Bundesebene geworben, toleriert von der Linkspartei. Steinbrück schließt das auf seiner Berlin-Tour strikt aus: Er habe immer wieder klar gemacht, dass eine solche Regierung für ihn nicht in Frage komme.

„Wir brauchen mehr und neue Wohnungen“

Im Deutschen Theater stellt er ­begeistert fest, dass eines seiner zentralen Wahlkampfthemen auch bei den Jugendlichen verfängt. Die klagen über steigende Mieten in Berlin und Steinbrück ruft: „Wir müssen etwas tun gegen extreme Mietsteigerungen, wir brauchen mehr und neue Wohnungen.“

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Es läuft so gut, dass der Kandidat irgendwann seine Vorsicht vergisst. Als die jungen Theaterleute von ihrer Angst vor einem neuen Atomkrieg sprechen, will Steinbrück ­wissen, ob sie sich Sorgen über den „verrückten Nordkoreaner“ ­machen. Er meint den nordkorea­nischen Machthaber Kim Jong Un. Aber diesmal bleibt die undiplo­matische Lästerei folgenlos.