Berlin. . Behinderte, die unter Totalbetreuung stehen, haben in Deutschland kein Wahlrecht. Das wollen Grüne und SPD nun ändern: Sie fordern eine Korrektur des Wahlrechts, denn die bisherige Praxis verstößt gegen UN-Konventionen. Wie viele Behinderte betroffen sind, ist unklar. Inoffiziell ist von 200.000 die Rede.

Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. So klar, so einfach steht es im Grundgesetz. Bei Wahlen indes haben Behinderte, die unter „Totalbetreuung“ stehen, keine Stimme: Sie sind ausge­schlossen.

An der Rechtspraxis nehmen nun SPD, Grüne, das Land Rheinland-Pfalz, der Verein „Lebenshilfe“, aber auch der Behindertenbeauftragte Hu­bert Hüppe (CDU) Anstoß. „Ich bin dafür, dass alle Menschen mit ­Behinderung wählen dürfen“, sagte er zur WAZ Mediengruppe.

Es gebe keinen Grund, sie auszugrenzen. „Wenn wir die UN-Behindertenrechtskonvention ernst nehmen, kommen wir um eine ­Korrektur des Wahlrechts nicht ­herum“, fügte Hüppe noch hinzu.

Grüne und SPD fordern Korrektur

Nach den Grünen will die SPD heute im Bundestag die Regierung zu einer Gesetzeskorrektur auf­fordern. „Wir wollen die Diskriminierung nicht“, sagte die SPD-Abgeordnete und Vorsitzende der ­„Lebenshilfe“, Ulla Schmidt.

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Von Miguel Sanches

Wie viele Behinderte betroffen sind, ist unklar. Inoffiziell ist von 200.000 die Rede. Es seien dazu ­„keine statistischen Daten“ vorhanden, heißt es in einem Brief von ­Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an Hüppe. Die Innenpolitiker der Koalition wehren sich gegen ­rasche Korrekturen. Sie wollen das Ergebnis einer Studie abwarten.

CDU-Politiker Günter Krings verteidigte die bisherige Praxis. „Es ist nicht plausibel, warum ein Mensch, der nicht mal selbstständig eine ­Zeitung kaufen kann, eine Wahlentscheidung treffen soll“, sagte er zur WAZ Mediengruppe. Mit Änderungen vor der Bundestagswahl im Herbst wird in allen Parteien nicht mehr gerechnet.

Deutsche Praxis verstößt gegen die UN-Konvention

Der Grünen-Politiker Markus Kurth spricht von „Verzögerungs­taktik“. Bereits 2011 hatte das Deutsche Institut für Menschenrechte ein uneingeschränktes Wahlrecht für ­alle Behinderten gefordert. Die Praxis verstößt für Kurth gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.

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Die SPD fordert auch Erleichterungen für Analphabeten und für Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. Das seien etwa 7,5 ­Millionen Bürger, so die SPD-Innenpolitikerin Gabriele Fograscher. Auch für sie solle man die Wahlzettel mit Grafiken und Fotos verein­fachen und die Programme der Parteien in leichter Sprache anbieten.

In ei­ner rechtlichen Grauzone wähnen Experten die Demenzkranken. Etwa jeder 60. Wahlberechtigte soll bereits an einer Demenzer­krankung leiden.