Stuttgart. . Die Baukosten explodieren. Fast sieben Milliarden Euro soll der Tiefbahnhof in der Landeshauptstadt nun kosten. Die Höchstgrenze lag einst bei 4,5 Milliarden Euro. Sogar vom Ausstieg aus dem Projekt ist nun die Rede.
Der Krieg an den Bauzäunen rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof wird mit Worten geführt. Max Maulwurf klebt an den Brettern und macht Stimmung für Stuttgart 21. Die lustige Comicfigur der Bahn ruft: „Es gibt viel zu tun. Graben wir’s an“, oder sie nimmt schwitzend hohe Hürden. Gegner haben grinsend „Grube auf der Flucht“ neben die Zeichnung gepinselt. Sie antworten dem Bahnchef und der Politik mal intelligent („Gier frisst Hirn“), aber immer öfter auch giftig: „Mafiöses Drecksprojekt“.
Das größte und umstrittenste deutsche Bauvorhaben ist – trotz Regierungswechsel im Ländle, Schlichter und Volksabstimmung – nicht befriedet. Donnerstagabend eskalierte der Krieg der Worte wieder. Ein Trupp der „Mahnwache“ im Schlossgarten, wo ein Jahr zuvor 200 Jahre alte Bäume gefällt wurden, riss Löcher in die Baustellen-Absperrung. Man stürmte das Gelände. Die Polizei nahm acht Demonstranten fest.
Kann Deutschland Großprojekte?
Doch die letzte Schlacht um den geplanten Tiefbahnhof wird nicht im gerodeten Schlossgarten ausgefochten. Sie wird im Stuttgarter Landtag, im Berliner Bundesverkehrsministerium und am Ende wohl am Schreibtisch der Kanzlerin entschieden. Es geht um die Frage, ob Deutschland Großprojekte kann, um Wirtschaftlichkeit und Kosten. Sie sind explodiert, wie der Bahnvorstand eingeräumt hat. Sie scheinen sogar außer Kontrolle, wie ein Papier des Bundesverkehrsministeriums fürchtet. Sie schnellen von der einst versprochenen „Höchstgrenze“ 4,562 Milliarden Euro auf 6,8 Milliarden. Die Bahn und das grün-rote Baden-Württemberg streiten seither um eine zusätzliche finanzielle Beteiligung des Landes. Die sei vereinbart, sagt der Bund. Nein, sagt das Land. Heute sitzen sie zusammen. Ein Showdown droht.
Dann wird auch vom Ausstieg als letztem Mittel die Rede sein. Drei Staatssekretäre der Bundesregierung im Aufsichtsrat haben den Gedanken ins Spiel gebracht, in dem sie das Angebot der Bahnführung, Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro selbst zu zahlen, kritisch hinterfragen und eine ehrliche Kostenschätzung für den Plan B verlangen. Das ist der Projekt-Abbruch. Könnte man die Schnellstrecke nach Ulm bauen und den alten Kopfbahnhof modernisiert stehen lassen? Oder ganz zurück auf Null – kein Tiefbahnhof, auch keine Tunnelstrecken von 50 Kilometer Länge? Ginge so was jetzt noch? Abgesehen vom verkorksten Image: Das Projekt hat längst tiefe Wunden in die City gerissen.
Schutz für den Juchtenkäfer
Die „alte Stuttgarterin“ Hanna Geckert traut sich deshalb nicht mehr in den Schlossgarten. Geckert, Stuttgart 21-Gegnerin, klärt im Kiosk an der Königstraße Fremde und Freunde über die Schändlichkeit des teuren Monsters auf: „Denken Sie an den Schaden für die Mineralquellen“. Auch der Juchtenkäfer ist zu schützen. „Die gaukeln uns was vor“. Aber zur Mahnwache geht sie nicht. „Ich will’s Elend nicht sehen. Sie haben alles zerstört“. Sie, das sind die Baufirmen. Die nennen Bauvorbereitung, was Hanna Geckert für Zerstörung hält. Nicht nur 50 Prozent der Aufträge sind vergeben, 300 Bäume weg, zwei Bahnhofsflügel abgerissen. Am Nordeingang klafft auch ein tiefes Loch. Am Boden schieben Arbeiter mit Baggern Bohrer in die Fundamente des alten Bonartz-Baus.
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Die Politik – die schwarz-gelbe in Berlin und die grün-rote in Stuttgart – weiß in dieser Gemengelage nicht recht weiter. Die Koalition im Südwesten äußert sich zu einem Baustopp nur verhalten. Sie ist gespalten (Grüne eigentlich dafür, SPD strikt dagegen) . Er halte Stuttgart 21 „nach wie vor für sinnvoll“, sagt Verkehrsminister Ramsauer in Berlin – und weiß, dass Bahn-Aufsichtsratschef Utz Felcht Gutachter prüfen lässt, wie belastbar die neuen Kostenzahlen der Bahn sind. Das Ergebnis brauchen sie bei der Abstimmung im Aufsichtsrat am 5. März. Einerseits. Es soll aber auch Hinweise geben, dass die 15-köpfige Runde wegen „unzureichender Kontrolle“ des Vorstandes vor Gericht landen könnte. Strafanzeigen liegen vor.
Visionen und Videoprojektionen
Verbreitete Unsicherheit also blockiert Max Maulwurfs Ziel, die nächsten Hürden zu nehmen. Derzeit macht er nur im Bahnhofsturm Boden gut. Dort wird für eine halbe Million Euro die Ausstellung über Stuttgart 21 renoviert. 300 000 Besucher kommen jährlich, bestaunen Visionen von Glaskuppeln über den Gleisen und Videoprojektionen, die den Zug der Zukunft nach einem Spurt durch die untertunnelte Schwäbische Alb in das Netz unter Stuttgart abbiegen lässt. Die Macher der Ausstellung sehen sich auf der richtigen Seite: Laut Emnid sind 62 Prozent für den Tiefbahnhof. Hanna Geckert und ihr Widerstand wollen dem Paroli bieten, wenn die Ausstellung die Türen schließt: Ihr Kiosk hat rund um die Uhr auf. „Kommen Sie mal nachts um zwei“.