Berlin. Die Ökonomin Claudia Kemfert wirft den Gegnern der Energiewende Lügen und Mythenbildung vor. „Kampf um Strom“ heißt ihr Buch. Die Ähnlichkeit mit „Kampf um Rom“ dürfte gewollt sein, und so geht es dabei ja auch zu. Ein Interview.

Mit ihrem neuen Buch „Kampf um Strom“ will Prof. Claudia Kemfert, Leiterin der Energieabteilung beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der „lauten und einflussreichen“ Lobby der Energiewende-Gegner entgegentreten und ihre Argumente entkräften. Der Ton der Wissenschaftlerin ist durchaus gereizt.

Frau Prof. Kemfert, haben Sie eine Streitschrift verfasst?

Claudia Kemfert: Mich ärgert, wie unsachlich die Debatte über die Energiewende verläuft. Ich befürworte die Wende, deswegen möchte ich den aberwitzigen Schlachtparolen der Energiewende-Gegner entgegentreten. Manche davon sind ja bereits zu Mythen geworden und verunsichern die Menschen. Dabei will die große Mehrheit das Ziel erreichen, bis 2050 80 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Bis dahin ist noch viel Zeit, aber die Entscheidungen fallen jetzt.

Der Strompreis an der Börse ist niedrig, doch der Verbraucher zahlt höhere Preise. Wieso?

Kemfert: Je niedriger der Börsenpreis ist, desto größer ist die Lücke zu den festen Vergütungssätzen, die die Erzeuger von Ökostrom erhalten. Diese Lücke muss die EEG-Umlage füllen. Es wäre allerdings leicht für die Konzerne, die niedrigen Börsenpreise an die Kunden weiterzugeben. Mit dem Sündenbock Ökoenergie lassen sich aber Gewinne machen. Das wird den Verbrauchern von der Politik nicht ausreichend erklärt.

Claudia Kemfert kritisiert die >>aberwitzigen Schlachtparolen<< der Energiewende-Gegner.
Claudia Kemfert kritisiert die >>aberwitzigen Schlachtparolen<< der Energiewende-Gegner. © Andreas Schoelzel

Wo stehen wir bei der Energiewende?

Kemfert: Beim Ausbau sind wir schon weiter als geplant. Doch es gibt noch große Hürden. So hinkt der Netzausbau hinterher, wir brauchen mehr Speicher für Ökostrom und eine bessere Kooperation zwischen Bund und Ländern und in Europa. Anstatt diese Probleme anzugehen, wird nur von der EEG-Umlage geredet – eine Alibi-Diskussion, um die Energiewende abzuwürgen.

Kritiker sagen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, das dem Ökostrom Vorrang bei der Einspeisung in die Netze gewährt und eine feste Vergütung garantiert, muss weg. Ist das richtig?

Kemfert: Das ist falsch. Das EEG ist ein Erfolgsmodell. Über 60 Länder haben eine ähnliche Regelung eingeführt. Ich warne davor, das EEG abzuschaffen, die Investoren würden abspringen und die Energiewende käme zum Erliegen. Was wir brauchen ist ein marktfähiges System, das in der Übergangszeit das Nebeneinander von fossilen und erneuerbaren Energieträgern regelt. Der Markt regelt das nicht von allein.

Geht der Ausbau der Ökoenergie zu schnell voran?

Kemfert: Dass die Energiewende zu schnell geht, ist neben der Preislüge der zweite Mythos, der von den Gegnern verbreitet wird. Sie versuchen damit, die Wende zu torpedieren oder zu bremsen. Denn solange alte stillgelegte Kohlekraftwerke nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden können, müssen neue Kraftwerke gebaut werden. Die laufen dann aber 40 bis 60 Jahre. Sind sie erstmal am Netz, gibt es für einen Zubau von Ökoenergie keine Notwendigkeit mehr. Das aber ist nötig, und zwar schnell. Das Zeitfenster ist klein.

Wer sind die Gegner der Energiewende?

Kemfert: Viele Wirtschaftskräfte haben Interesse, den Status Quo zu bewahren. Dazu gehören Stromkonzerne – von denen einige allerdings schon sehr viel für die Energiewende tun – dazu gehören energieintensive Unternehmen. Außerdem gibt es rein ideologische Gegner. Konservative, denen alles Grüne suspekt ist oder Anhänger der FDP, die zwar in der Regierung ist, aber nicht hinter der Entscheidung zur Energiewende steht.

Was sind die Motive der Bremser?

Kemfert: Derzeit verdienen die Konzerne mit abgeschriebenen Kraftwerken viel Geld. Sie haben ein Interesse daran, dass sich der Bau von Kohlekraftwerken noch lange rentiert. Je schneller die Energiewende vorankommt, desto schneller brechen die Geschäftsmodelle weg.

Kann die Energiewende noch scheitern?

Kemfert: Diese Gefahr sehe ich. Das Management der Energiewende muss sich verbessern. Die Zuständigkeiten müssen gebündelt werden. Netzausbau, Speicher und die internationale Koordination sind weitere Themen. Wenn man diese Aufgaben nicht entschlossen angeht, haben die Energiewende-Gegner weiter ihr Spielfeld und schlimmstenfalls am Ende Erfolg.