Kairo. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi wird am Mittwoch zum Staatsbesuch in Berlin erwartet. Bei den Gesprächen wird es vor allem um die innenpolitische Lage in Ägypten gehen, aber auch um den Nahost-Friedensprozess und die Situation in Syrien. Vier Gruppen haben Proteste angekündigt.
Wenige Stunden vor seiner Ankunft in Deutschland bläst dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi schon heftige Kritik entgegen. Wegen der schweren Ausschreitungen in seinem Heimatland solle Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem Muslimbruder die Leviten lesen, forderten die Grünen. Deutschland sei dem Ägypter gegenüber „nicht kritisch genug“, monierte auch die Berliner Politologin Hoda Salah. Und im Auswärtigen Ausschuss wünscht man sich, dass Mursi zu Streitfragen wie Frauenrechten und Religionsfreiheit Farbe bekennt. Derweil toben in Ägypten weiter Proteste gegen den Staatschef.
Für Mursi ist es der erste Besuch in Deutschland und auch das erste persönliche Aufeinandertreffen mit Merkel. Am Mittag wird der Präsident mit militärischen Ehren im Kanzleramt empfangen. Bei den Gesprächen wird es vor allem um die innenpolitische Lage in Ägypten gehen, aber auch um den Nahost-Friedensprozess und die heikle Situation in Syrien. Im Anschluss an die Begegnung ist eine gemeinsame Pressekonferenz geplant.
Vier Gruppierungen haben zu Protesten aufgerufen
Von Feststimmung kann indes keine Rede sein: Gleich vier Gruppierungen haben für Mittwoch zu Protesten aufgerufen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hält am Kanzleramt ab 11 Uhr eine Kundgebung gegen Polizei- und Militärgewalt in Ägypten ab. Eine Stunde später protestieren an gleicher Stelle koptische Christen gegen die Verfolgung ihrer Glaubensbrüder. Und zwei weitere Gruppierungen wollen am Nachmittag Solidarität mit den Demonstranten für die ägyptische Revolution einfordern.
„Ich wünsche mir klare Worte von der deutschen Regierung und verlange, dass Deutschland zu seinen Werten wie Demokratie und Respekt vor Menschenrechten steht“, formulierte die Politologin Hoda Salah von der Freien Universität Berlin ihre Erwartungen im Vorfeld. Wegen Mursis fehlender Legitimation habe sie ohnehin kein Verständnis für den Empfang, schon gar nicht ohne „klare Kritik an der ägyptischen Politik“. Finanzielle Hilfe müssten an Bedingungen geknüpft und der Stopp von Waffenlieferungen nach Ägypten unterstützt werden, sagte sie der Nachrichtenagentur dapd.
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth wählte mahnende Worte. „Mursi trägt als frei gewählter Präsident eine Verantwortung für alle Ägypter. Er muss sich für die Einbeziehung der Opposition, für gleiche Rechte, Gewaltlosigkeit und eine Verbesserung der sozialen Lage einsetzen“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). Und genau diese Themen müsse Merkel auch knallhart ansprechen.
Westerwelle plädiert für Geduld
Im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages soll Mursi ebenfalls Rede und Antwort stehen. „Dabei interessiert uns vor allem seine Vorstellung von der weiteren Demokratie- und Rechtsstaatsentwicklung, hier insbesondere Fragen der Frauenrechte und der Religionsfreiheit“, sagte der Ausschussvorsitzende Ruprecht Polenz (CDU) der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Außenpolitisch geht es uns nicht zuletzt um Ägyptens Verhältnis zu Israel. Wir erwarten, dass der Friedensvertrag eingehalten wird und sich das Verhältnis positiv entwickelt.“
Bundesaußenminister Guido Westerwelle gab sich vergleichsweise nachsichtig und forderte Geduld mit Kairo. „Niemand konnte erwarten, dass sich in Ägypten nach langer autoritärer Herrschaft in kurzer Zeit alles zum Besten wendet“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Ägypten braucht nachhaltige Unterstützung aus dem Ausland: Ohne Investitionen, ohne Touristenströme, aber auch ohne Hilfe bei der Transformation werden sich glaubwürdige wirtschaftliche Perspektiven und soziale Teilhabe für die Menschen in Ägypten nicht einstellen.“
Tausende Demonstranten forderten Mursis Rücktritt
Tatsächlich bleibt die Lage in Ägypten gespannt. Am Tag vor Mursis Deutschlandbesuch protestierten am Dienstag wieder Tausende gegen das Staatsoberhaupt und forderten seinen Rücktritt. Angesichts anhaltender Unruhen meldete sich erstmals Militärchef Abdel Fattah el Sissi zu Wort und warnte vor einem Kollaps der staatlichen Ordnung, verteidigte aber das Demonstrationsrecht. Demonstranten und Bürgerrechtler halten Mursi vor, Polizeibrutalität zu billigen. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay forderte sofortige Ermittlungen und eine Überprüfung der Polizeitaktik.
Nach schweren Krawallen mit mindestens 60 Toten in den vergangenen Tagen war es auch am Dienstagabend wieder zu heftigen Ausschreitungen gekommen, die nach Einbruch der Nacht eskalierten. Dabei attackierten Demonstranten die Polizei mit Steinen und wurden ihrerseits mit Tränengas beschossen. In Port Said waren Panzer auf den Straßen, während weitere sechs Todesopfer zu Grabe getragen wurden. Tausende marschierten im Trauerzug und riefen Parolen gegen Mursi. Der Präsident hatte das Militär nach Port Said und Suez entsandt und ebenso wie in Ismailija den Ausnahmezustand verhängt. (dapd)