Berlin. . Philipp Mißfelder befürchtet, der Krisenherd Mali könnte ein „zweites Afghanistan“ werden - und warnt vor mehr deutscher Beteiligung. Im Interview wünscht sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion mehr Bürgernähe der Europäischen Union: „Brüssel wirkt auf die Menschen wie ein Ufo.“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder (33), ist gegen eine stärkere deutsche Beteiligung am Einsatz in Mali. Das Risiko sei schlicht zu groß. Miguel Sanches sprach mit dem Abgeordneten aus Recklinghausen zudem über das deutsch-französische Verhältnis und die zweite Amtszeit von US-Präsident Barack Obama.

Herr Mißfelder, Frankreich zog sich im Alleingang aus Afghanistan zurück. Täuscht der Eindruck, dass die Zusammenarbeit selten so mühsam war wie unter Hollande und Merkel?

Philipp Mißfelder: Natürlich hätten wir uns gewünscht, der Abzug wäre mit uns abgestimmt worden. Dieser war ein Versprechen von François Hollande – sein Wahlkampf ging nicht spurlos an uns vorbei. Auch wenn Bundeskanzlerin Merkel und er programmatisch auseinander liegen, sind sie doch auf enge Zusammenarbeit angewiesen. Ich sehe auch, dass der Gesprächsfaden aufgenommen wird.

Was muss man tun, um den Élysée-Vertrag mit neuem Leben zu füllen?

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Mißfelder: Wir können die Wirtschafts- und Bankenunion in der EU nur gemeinsam schaffen. Es wird darauf gewartet, dass Deutschland und Frankreich sich einigen. Wir würden den Élysée-Vertrag vorantreiben, wenn wir die EU demokratischer machen. Brüssel ist weit weg und wirkt auf die Menschen ähnlich unbekannt wie ein Ufo. Mein Vorschlag wäre, den Kommissionspräsidenten von den Bürgern direkt wählen zu lassen, nicht wie bisher von den Regierungschefs.

Ginge es auch eine Nummer kleiner? Müsste Deutschland sich nicht stärker am französischen Einsatz in Mali beteiligen? Bundespräsident Lammert hat das angemahnt.

Mißfelder: Ich halte es für hochriskant, über Boden- oder Kampftruppen in Mali zu spekulieren. Die Franzosen haben eine andere Afrika-Kompetenz als die Bundeswehr. Sie können mit der Fremdenlegion anders agieren. Auch vor diesem Hintergrund halte ich ein Abenteuer in Mali für gefährlich.

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Sind Lammert oder der Außenpolitiker Polenz nur Einzelmeinungen?

Mißfelder: Es gibt eine abgestimmte Haltung zwischen der Bundeskanzlerin, ihrem Kabinett und auch mir als außenpolitischem Sprecher der Unionsfraktion. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir mit dem Afghanistan-Einsatz unsere militärischen Möglichkeiten nahezu ausgereizt haben. Bei aller Sympathie für das französische Vorgehen scheuen wir das Risiko in Mali.

Welches Risiko?

Mißfelder: Ich hoffe, dass die Franzosen schnell erfolgreich sind. Aber im schlimmsten Fall droht ein zweites Afghanistan.

Droht der Terrorismus auf die ganze Sahel-Zone überzugreifen?

Mißfelder: Das ist die Kehrseite des Arabischen Frühlings. Bisher konnten wir uns sicher sein, dass Nordafrika – Libyen, Ägypten – zu einer Scheinstabilität beiträgt. Die Länder haben etwa geholfen, die Flüchtlingsproblematik einzudämmen. Nun sehen wir, dass kleine Gruppen es schaffen, Länder wie Algerien in Aufruhr zu versetzen und den Terrorismus auszuweiten. Dieser ist militärisch kaum in den Griff zu bekommen, vielmehr müssen wir uns auf die Hintermänner konzentrieren. Sollte sich herausstellen, dass Gelder aus den Golfstaaten massiv den islamischen Terrorismus finanzieren, dann wäre das eine neue Herausforderung.

US-Präsident Obama tritt seine zweite und letzte Amtszeit an. Was erwarten Sie für Impulse in der Außenpolitik?

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Mißfelder: Die Energiepolitik der USA verändert sich massiv. Das wird sich auf die Außenpolitik auswirken. Die USA waren im Nahen Osten stets um größtmögliche Ruhe bemüht, um ihre Rohstoffversorgung sicherzustellen. Zukünftig fördern sie wesentlich mehr Gas und Öl. Damit werden sich auch Prioritäten verändern. Die USA werden mehr auf den Wettstreit mit China setzen. Präsident Obama hat die militärische Präsenz in Südostasien schon jetzt massiv gesteigert. Er wird von den Europäern erwarten, dass sie sich nun um Afrika und den Nahen Osten kümmern. Ich bezweifle, dass wir in Europa schon darauf vorbereitet sind.

Was überwiegt bei Ihnen - das Vertrauen in die afghanischen Streitkräfte oder die Sorge, dass bald wieder alte Verhältnisse herrschen?

Mißfelder: Die Taliban werden nach dem Abzug der internationalen Truppen nicht automatisch die Oberhand gewinnen. Das wird von Region zu Region unterschiedlich sein. Wir hinterlassen zwar ein zerklüftetes Land, aber wir haben es geschafft, eine Brutstätte des Terrorismus einzudämmen. Aber die Bilanz hat auch viele Schattenseiten.

Welche?

Mißfelder: Die Ziele, Demokratie und Gleichberechtigung zu installieren, waren blauäugig. Der kulturelle Wandel, der dafür nötig gewesen wäre, ist nicht in Sicht. Clinton hat von „Nation building“ und Bush vom „Export der Demokratie“ gesprochen. Davon sind wir weit entfernt.