Ain Amenas/Algerien. Algerien hat sein umstrittenes Vorgehen im Geiseldrama in der Wüste verteidigt. “Der Einsatz ist die Antwort auf eine Entscheidung der Terroristen gewesen, alle Geiseln zu töten und ein wahres Massaker anzurichten“, zitierte die Tageszeitung “El-Khabar“ einen Armeesprecher.
Mit Dutzenden Todesopfern ist das Geiseldrama in der Sahara zu Ende gegangen. Algerische Spezialeinheiten stürmten die gekaperte Gasförderanlage Ain Amenas und töteten nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur APS alle elf verbliebenen Entführer. Auch sieben Geiseln kamen um, offenbar wurden sie schon vor dem Befreiungsversuch am Samstag von den Extremisten ermordet.
Nach Regierungsangaben sind damit insgesamt 23 Geiseln und 32 Extremisten ums Leben gekommen, allerdings klaffen die von verschiedenen Seiten lancierten Zahlen weit auseinander. Etliche ausländische Arbeiter werden zudem weiter vermisst, weshalb die Opferzahl noch steigen könnte. US-Präsident Barack Obama machte die islamistischen Geiselnehmer für das Blutbad verantwortlich.
Informationslage weiter widersprüchlich
Die Informationslage ist noch immer widersprüchlich, zumal sich das unübersichtliche Gasfeld über mehrere Hektar Wüste erstreckt. Allerdings hatten die islamistischen Extremisten der "Maskierten Brigade" nach eigenen Angaben bis zuletzt drei Belgier, zwei Amerikaner, einen Japaner und einen Briten in ihrer Gewalt. Dies würde sich mit der vermeldeten Zahl von sieben toten Geiseln decken. Ein Informant aus den Reihen der Sicherheitskräfte ließ APS zufolge offen, ob es Überlebende gab und welcher Nationalität die Opfer sind.
Dem Bericht zufolge wollte die Armee mit ihrer Offensive verhindern, dass die mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbündeten Islamisten den Industriekomplex wie angedroht komplett in die Luft jagen. Das gesamte Raffineriegelände sei mit Sprengsätzen vermint worden, erklärte der staatliche algerische Ölkonzern Sonatrach. Die Entschärfungsarbeiten hätten bereits begonnen. Nach Schilderung einer überlebenden Geisel waren den Gefangenen auch Sprengfallen um den Hals gelegt worden, damit sie nicht flüchten. Die Streitkräfte stellten am Samstag neben schweren Maschinengewehren und Granaten auch Raketen und Raketenwerfer sicher.
"Verschiedene Länder haben verschiedene Herangehensweisen"
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Die 32 nach Regierungsangaben über benachbarte Staaten ins Land eingesickerten Milizionäre unterschiedlicher Nationalität hatten am Mittwoch zunächst zwei Busse mit Mitarbeitern der vom Energiekonzern BP, der norwegischen Statoil und Sonatrach betrieben Gasförderanlage angegriffen, wurden vom bewaffneten Sicherheitsdienst aber zurückgeschlagen. Daraufhin kaperten die Islamisten das Raffineriegelände sowie die Unterkünfte der Arbeiter und nahmen Hunderte Gefangene, wobei die algerischen Arbeiter größtenteils schnell wieder freigelassen wurden. Das eigentliche Augenmerk der Islamisten galt den westlichen Geiseln. Befreit wurden laut der Regierung insgesamt 685 algerische und 107 ausländische Geiseln.
Am Donnerstag eröffneten dann Hubschrauber das Feuer auf einen Konvoi der Islamisten, wobei laut einem Bericht des mauretanischen Nachrichtenportals ANI allein schon 35 Geiseln und 15 Kämpfer getötet wurden - also deutlich mehr als die algerische Regierung angibt. Unter den offiziell bestätigten Opfern waren bis zum Samstag mindestens je ein Amerikaner, Franzose, Brite und Rumäne sowie mehrere Algerier. Die britische Regierung vermisst noch sechs Staatsangehörige, Norwegen fünf, Malaysia zwei. Nach Angaben des Auswärtigen Amts befanden sich keine Deutschen unter den Geiseln.
Auch Frankreichs Präsident verteidigte blutige Befreiungsaktion
Frankreichs Staatspräsident François Hollande verteidigte die blutige Befreiungsaktion gegen Kritik. "Verhandlungen mit den Terroristen kamen nicht infrage", sagte er, schließlich hätten die Entführer "schändlich gemordet". Der britische Premier David Cameron suchte die Schuld für das Massaker ebenfalls allein bei den Geiselnehmern und wollte keine taktischen Fehler aufseiten der Spezialeinheiten erkennen.
Auch US-Präsident Obama sah die Verantwortung für das Blutbad bei den Terroristen und verurteilte deren Taten. Die Regierung in Algier könne mit jedweder amerikanischen Unterstützung rechnen, hieß es in einer Stellungnahme Obamas aus dem Weißen Haus. Die jüngste Attacke sei eine weitere Erinnerung an die Gefahr, die von Al-Kaida und anderen gewalttätigen Terrorgruppen in Nordafrika ausgehe. In den kommenden Tagen werde sich Washington daher eng mit Algier abstimmen, um ein klareres Bild von den Ereignissen zu bekommen und so derartige Tragödien künftig gemeinsam zu vermeiden.
Doch der Einsatz in der Sahara rief international auch viel Kritik hervor, da den algerischen Behörden mangelnde Verhandlungsbereitschaft und wenig Rücksicht auf das Schicksal der Gefangenen vorgeworfen wurde.
Widersprüchliche Angaben über Motive der Geiselnehmer
Die Extremisten hatten ursprünglich erklärt, mit ihrem Überfall die französische Bodenoffensive gegen Islamisten im benachbarten Mali bestrafen zu wollen. Später gaben sie allerdings zu Protokoll, die Aktion seit mehr als zwei Monaten geplant zu haben - also deutlich bevor Paris mit der eigenen Infanterie und Luftwaffe in den malischen Konflikt eingriff.
Die ANI-Webseite verbreitete zudem eine Erklärung, wonach die Geiselnehmer zwei ihrer amerikanischen Gefangenen gegen zwei in den USA inhaftierte Personen austauschen wollten. Bei einem der beiden handelt es sich um den blinden Scheich Omar Abdel Rahman, der wegen eines Anschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Als Zweiter wurde der Pakistaner Aafia Siddiqui genannt, der wegen der Ermordung zweier US-Soldaten in Afghanistan verurteilt wurde.
Beinahe hätte das dreitägige Geiseldrama in Algerien auch Deutschland betroffen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom Samstag sind zwei deutsche Mitarbeiter einer Bohrfirma, die während der Geiselnahme mehrere Kilometer entfernt an ihrem Einsatzort waren, inzwischen nach Großbritannien ausgeflogen worden. Sie hätten die letzten Tage an einem sicheren Ort in der Obhut algerischer Sicherheitskräfte verbracht, hieß es. Ihnen gehe es den Umständen entsprechend gut.