Mainz/Marl. . Das Internet macht Korrespondenten Informationen zugänglich, die mancher Machthaber gern verschwiege. Andererseits verführt das Netz zum Schnellschuss. ZDF-Vizechef Elmar Theveßen spricht aus eigener Erfahrung, wie er im Vorfeld der öffentlichen Marler Tage der Medienkultur bekennt.

Die Rundfunkgebühren sind umstritten. Haben Sie Verständnis für die Kritik am System?

Elmar Theveßen: Ich kann die Kritik verstehen im Hinblick auf bürokratische Schwierigkeiten, die durch die Umstellung entstanden sind. Ich bin aber überzeugt davon, dass unsere Kollegen alles tun, um sie schnellst möglich zu beheben.

Obwohl wir in einer globalisierten Welt leben, ist das Interesse an außenpolitischer Berichterstattung in der Regel übersichtlich. Warum?

Theveßen: Je komplexer die Ereignisse sind, je schwieriger sie zu verstehen sind, desto mehr neigen manche Menschen dazu, sich vor derartigen Informationen abzuschotten.

Ein Bündnis für den Qualitätsjournalismus – zusammen mit Zeitungen

Derzeit toben Kämpfe in Nordafrika. Aber nicht mal bei Phoenix gibt es jenseits der Nachrichten Hintergrund. Fehlt den Ereignissen die Dramatik?

Theveßen: Eigentlich nicht. Wir berichten in unseren regulären Nachrichten-Sendungen wie „heute“ und „heute-journal“ darüber. Dabei geben wir neben der punktuellen Berichterstattung auch Hintergrund-Informationen, weil wir wissen, dass der Erklärbedarf groß ist, zumal Ereignisse wie die Geiselnahme in Algerien und die Kämpfe in Mali an verschiedenen Schauplätzen stattfinden. Verschiedene Schauplätze bedeuten allerdings auch ein logistisches Problem. Wir haben darauf reagiert, indem jetzt zwei Korrespondenten von dort berichten; bisher war es nur einer.

Auslandsthemen sind weit weg. Man kann aber auch sagen: Das Fernsehen tut zu wenig, um das Interesse daran zu heben. Wo kann und muss das ZDF ansetzen?

Theveßen: Wo wir sehen, dass ein Informationsdefizit besteht, müssen wir Zusammenhänge plastisch aufzeigen. Das muss über das reine Abbilden von Nachrichten hinausgehen. Das bedeutet im Zweifel, dass wir mit mehr Logistik, mehr Korrespondenten arbeiten müssen, um Themen breiter aufstellen zu können. Zugleich müssen wir aber auch ein Splitter – etwas bei unserer Afghanistan-Berichterstattung – öfter zu einem ganzen Bild zusammensetzen.

Hilfreich sind Themen-Schwerpunkte – etwa (die Doku-Reihe) „ZDFzoom“ in Verbindung mit dem „auslandsjournal“ und dem „heute-journal“ - oder eine Kombination von fiktionalem (Spielfilm-)Programm mit Informationssendungen. Wir sind derzeit in Planung, so etwas mehrmals pro Jahr anzubieten. Dabei könnten wir uns durchaus mit anderen Medien, z.B. Zeitungen, zusammentun: Ein Bündnis für Qualitätsjournalismus.

Wer sich für eine Doku entscheidet, bleibt dran 

Kann die Frage nach der Herkunft von Alltagsprodukten das Interesse an Auslandsthemen steigern?

Theveßen: Das haben wir bereits mit dem Thema Palmöl gemacht. Wir haben gefragt, wo kommt es her? Und wir haben vor Ort, in Indonesien und Malaysia, nachgeschaut, unter welchen Bedingungen es produziert wird. Dabei ist herausgekommen, dass Zweifel an der Nachhaltigkeit bei der Herstellung angebracht sind. Ähnliches haben wir gemacht, als wir den Weg von Elektroschrott nach Nigeria nachverfolgt haben. Dort brennen Kinder das Metall aus Computern und atmen dabei giftige Dämpfe ein. Die Afrika-Doku lief übrigens direkt nach einem Fußballspiel, und das hat uns gerade bei jungen Zuschauern einen hohen Sockel gebracht.

Wie war die Zuschauer-Reaktion darauf?

Theveßen: Sehr positiv. Wir haben natürlich keine sensationell hohen Marktanteile, aber die Zuschauer, die derartige Programme einschalten, haben sich bewusst dafür entschieden, und sie bleiben meist die ganze Zeit über dran, wie wir aus der Zuschauerforschung wissen.

Ob elfter Neunter, Tsunami oder Fukushima: Katastrophen lösen Emotionen aus

Welche Elemente müssen zusammenkommen, damit ein außenpolitisches Ereignisse die allgemeine Aufmerksamkeitsschwelle überschreiten?

Theveßen: Die Ereignisse müssen anders sein als der Normalfall. Sie müssen etwas mit Menschen zu tun haben. Und sie müssen Emotionen auslösen. Allerdings gibt es auch Langzeit-Konflikte wie im Nahen Osten, über die wir mit einem 45-minütigen „ZDFspezial“ berichtet haben, obwohl wir wissen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nicht so hoch ist. Wir finden das Thema einfach wichtig.

Welche Auswirkungen hatte der elfte Neunte auf die Fernsehberichterstattung?

Theveßen: Bei manchen Ereignissen weiß man sofort, dass einen die Geschehnisse über eine längere Zeit beschäftigen. Es sind Ereignisse, die sofort Emotionen auslösen, Ängste, Sorgen. Neben dem elften Neunten waren das der Tsunami in Südost-Asien und Fukushima. Die Menschen haben sofort eine Verbindung zu ihrem eigenen Leben hergestellt. In solchen Situationen stellen wir übrigens fest, dass Menschen, die sonst lieber private Sender sehen, zu uns zurückkommen.

„Wir haben uns mehr Zurückhaltung auferlegt“

In Kriegen und Bürgerkriegen gibt es neben der Waffengewalt immer auch einen Propagandakrieg. Welche Chancen bietet das Internet bei der Wahrheitssuche?

Theveßen: Die Chancen bestehen darin, dass das Netz zusätzliche Quellen bietet, vor allem dann, wenn Regime versuchen, Journalisten aus den betreffenden Gebieten herauszuhalten. Andererseits hat uns das Internet überrollt.

Inwiefern?

Theveßen: Nach den Ereignissen im Iran haben wir angefangen, unsere Kapazitäten auszubauen, auch im Hinblick darauf, mehr Sorgfalt walten zu lassen. Über (den Kurznachrichtendienst) Twitter verbreiten sich Informationen wahnsinnig schnell. Aber man weiß nicht, ob das alles stimmt, selbst wenn man zwei Quellen hat.

Davon kann ich aus eigener Erfahrung berichten. Nach dem Anschlag in Norwegen hatte ich zwei Quellen, die mir telefonisch Informationen gegeben haben, dass hinter dem Anschlag jemand mit einem ideologischen Hintergrund, entweder ein islamistischer Hintergrund oder aus einer anderen Richtung. Leider ist dann nur der Hinweis auf einen möglicherweise islamistischen Hintergrund hängengeblieben.

Ich habe daraus die Lehre gezogen, möglichst noch eine dritte Meinung einzuholen. Wir haben uns mehr Zurückhaltung auferlegt.

Informationen zu den Marler Tagen der Medienkultur am Donnerstag und Freitag im Grimme-Institut.