Berlin. Nach dem Wahlsieg in Niedersachsen können SPD und Grüne das Geschehen im Bundesrat diktieren. Wenn die Linke sie lässt. Die Parteien planen Initiativen zum Mindestlohn und Betreuungsgeld. Die Union fürchtet eine Blockade ihrer Gesetzesvorhaben in der Länderkammer.

Angela Merkel erinnert an die „Verantwortung“ der SPD. Dazu hat die Kanzlerin allen Grund. Nach dem Wahlsieg in Niedersachsen ist die Kanzlerin auf die Sozialdemokraten angewiesen. Sie haben eine Mehrheit im Bundesrat. Schon warnen manche vor einer Totalblockade. Sie nennen es „Lafontaine-Strategie“. Die habe „in den 90er Jahren zum Stillstand geführt“, so CDU-Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder. Doch sie führte die SPD 1998 auch zurück an die Macht. Alle Fragen zur neuen Berliner Statik.

Wie sind die Mehrheiten?

Der Bundesrat hat 69 Sitze. Bisher verfügten SPD, Grüne und Linke über 30 Stimmen. Nun kommen weitere sechs aus Niedersachsen dazu. In der Summe: 36. Damit kann Rot-Grün das Geschehen diktieren. Bisher konnte man vieles stoppen. Die neue Qualität ist, dass sie künftig eine „gestalterische Mehrheit“ haben, wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier schwärmt. Zum Vergleich: Union und FDP regieren nur noch in Bayern, Hessen und Sachsen; sie kommen auf 15 Sitze. Die übrigen Stimmen teilen sich auf Große Koalitionen auf; im Streitfall enthalten sich diese fünf Länder im Bundesrat.

Was können SPD und Grüne tun?

Sie können jedes Gesetz ablehnen. Noch reizvoller als Blockade ist es aber, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dort können sie Initiativen verändern. Volker Kauder, Unions-Fraktionschef, ahnt, dass es im Bundesrat kaum noch möglich sein wird, Vorhaben durchzubringen, „die die SPD nicht machen will“.

Was will Rot-Grün?

Die Grünen wollen Initiativen zum Betreuungsgeld und zum Mindestlohn ergreifen. Ein wichtiger Punkt ist das Gesetz über erneuerbare Energien. Niedersachsens Spitzenkandidat der Grünen, Stefan Wenzel, verspricht: „Wir wollen den Bundesrat als Gestaltungsgremium nutzen“.

Wie sehen die SPD-Pläne aus?

Auf jeden Fall will die SPD das so genannte Hotelprivileg noch einmal aufspießen. Eine der ersten Initiativen werde ein Vorstoß zum Kampf gegen Steuerhinterziehung sein, verrät SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Die Verjährungsfristen für Steuerbetrug sollen verlängert werden, Banken bei fortgesetzter Beihilfe dazu ihre Lizenz verlieren. Die SPD erwägt auch einen neuen Anlauf, um den Ausbau der Kindertagesbetreuung zu forcieren.

Wie muss sich Merkel verhalten?

Sie muss sich damit abfinden. Das Steuerabkommen mit der Schweiz – abgeschrieben. Steuersenkungen – nur das Minimum. Die neue Rentenreform von Ursula von der Leyen – Scheitern wahrscheinlich.

Gibt es für Schwarz-Gelb eine Aussicht auf eine Trendwende?

Zunächst einmal: In acht Monaten sind Wahlen. Ende Juni tagt der Bundestag zum letzten Mal. Es sind nicht mehr viele Vorhaben in der Pipeline. Das größere Problem für Merkel ist, dass sie den Stachel auch nach einer Wiederwahl nicht los wird. Die nächsten Wahlen stehen in Bayern und Hessen an, zwei Ländern, die bisher von der Union geführt werden. Die nächste reguläre Chance, das Kräfteverhältnis im Bundesrat zu verändern, bietet sich frühestens im Sommer/Herbst 2014 an. Dann wählen Thüringen und Brandenburg. Die einfachste Lösung für Merkel: Eine Große Koalition in Berlin – und dann klappt es auch mit den Ländern.

Kann Rot-Grün auch überziehen?

Die Instrumentalisierung hat ihre Grenzen: Das sind die Interessen der Länder. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin will alsbald das gemeinsame Bankenkonzept vorlegen, das er und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erarbeitet haben. Trittin weiß aber, „dass man sich mit den Ländern Mühe geben muss – die verfolgen auch eigene Interessen“. Vor allem beim Geld. Die Erfahrungen in der Vergangenheit zeigen auch, dass die Parteipolitisierung des Bundesrates einen Preis hat: Mehr Mitsprache der Ministerpräsidenten in ihren Parteien.