Algier/Bamako. . Die Geiselnehmer in der algerischen Wüste suchten gezielt nach den ausländischen Arbeitern der Gasanlage. „Algerische Brüder, habt keine Angst“, riefen sie den Einheimischen zu. Den Krieg im Nachbarland Mali zu stoppen, gelang ihnen mit der Aktion aber nicht.
Auch zwei Tage nach Beginn der Geiselnahme in Algerien ist die Lage völlig unübersichtlich. Verlässliche Berichte über das Ausmaß des Blutbades waren am Freitag kaum zu bekommen. Wohl aber Nachrichten aus dem Nachbarland Mali: Dort spitzt sich die Lage zu.
Eine riesiger Industriekomplex mit 700 Mitarbeitern
Ein Grund für die Unübersichtlichkeit in Algerien: Der Schauplatz, die Gasförderanlage Tiguentourine, liegt rund 40 Kilometer von der nächsten größeren Stadt In Aménas entfernt und ist sehr weitläufig. In dem Industriekomplex arbeiten rund 700 Menschen, zumeist Algerier. Das Gelände umfasst außer den Förderanlagen für vier Gasfelder Unterkünfte für die Arbeiter sowie ein Sicherheitscamp. Die Angreifer waren offenbar mit einer Überrumpelungstaktik erfolgreich, denn die Anlage wurde nach Zeugenaussagen auch vom Militär bewacht.
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Geiseln mussten Sprengstoffgürtel tragen
Am Freitag berichteten die ersten Überlebenden von ihrer Gefangenschaft. Der Algerier Belhadj erzählte, die Geiselnehmer hätten es nur auf ausländische, nicht-muslimische Arbeiter abgesehen: „Sie sagten uns: ‘Algerische Brüder, habt keine Angst, geht in Frieden, kehrt nach Hause zurück, wir sind alle Brüder, wir sind alle Muslime.’“, zitierte ihn „Le Monde“. Der Franzose Alexandre Berceaux sagte dem Sender Europe 1., er habe sich fast 40 Stunden lang mit etwas Essen und Trinken unter seinem Bett versteckt. Drei Briten hätten sich in einer Zwischendecke in der Kantine verborgen.
Als die algerische Armee angriff, versuchten die Terroristen, in Bussen mit ihren Gefangenen zu fliehen. Dabei hätten die Geiseln Sprengstoffgürtel tragen müssen, berichtete der irische Außenminister Eamon Gilmore. Er berief sich auf die Ehefrau des Iren Stephen McFaul. Der 36-Jährige hatte demnach in dem einzigen Wagen gesessen, der von den algerischen Soldaten nicht getroffen wurde.
Sollten Islamisten aus US-Haft freigepresst werden?
Möglicherweise wollten die Geiselnehmer mit der Aktion inhaftierte Islamisten aus den USA freipressen. Ein Nachrichtenportal in Mauretanien berichtete, die Geiselnehmer hätten die Freilassung der Geiseln im Austausch für zwei Mitkämpfer angeboten. Bei einem von den beiden handelt es sich um den blinden Scheich Omar Abdel Rahman der wegen eines Anschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt ist.
Augenscheinlich unberührt von der Geiselkrise im Nachbarland setzten die Verbündeten in Mali ihren Kampf gegen die islamistischen Rebellen fort. Malische Verbände eroberten die Stadt Konna in der Landesmitte zurück. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS kündigte eine Verstärkung ihrer Verbände an, Frankreich will seine Truppen von 1400 Mann auf 2500 aufstocken. Auch Deutschlands Beitrag wird konkret: Die beiden angekündigten „Transall“-Transportflugzeuge werden am Samstag in Malis Hauptstadt Bamako erwartet.
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Familien zwischen den Fronten, Kindersoldaten im Einsatz
Hilfsorganisationen sorgen sich um die Situation der Zivilbevölkerung in Mali. Das UN-Flüchtlingshilfswerk teilte mit, dass seit Beginn der Kämpfe 147 000 Flüchtlinge in Nachbarländern Zuflucht gesucht hätten. 230 000 sind innerhalb Malis unterwegs. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ klagte, ganze Regionen seien von Hilfe abgeschnitten. Und das Kinderhilfswerk World Vision warnte, Tausende von Kindern und ihre Familien seien zwischen die Fronten geraten. Es heißt, bewaffnete Gruppen hätten über hundert Kindersoldaten rekrutiert.