Essen. . Kein Vermögen, keine Abgeordneten, kein Wahlkampf. Könnte sich die rechtsextreme Partei nach einem Verbot einfach neu erfinden und so weitermachen wie bisher? Experten glauben nicht daran. Die Partei und die gesamte rechte Szene würden einen solchen Schlag der Justiz lange Zeit nicht verkraften.

Man stelle sich vor: Die NPD ist Geschichte. Aus, vorbei, verboten. Das Verfassungsgericht zieht nach 50 Jahren einen Schluss-Strich unter diese Partei. Kein Vermögen, keine Abgeordneten, kein Wahlkampf, die NPD ist tot. Was wäre dann? Würden sich die Feinde der Demokratie nicht umgehend neu organisieren? In einer neuen Partei mit vergleichbar braunem Anstrich? Nein, so einfach wäre das nicht, erklären Rechts- und Politikwissenschaftler, die sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigen. Sie sagen: Ein neues Verbots-Verfahren dürfte zwar juristisch ebenso riskant sein wie das vor zehn Jahren. Eine Gratwanderung. Aber: Ein erfolgreiches NPD-Verbot träfe große Teile der rechten Szene wie ein Hammerschlag.

Um das zu verstehen, lohnt ein Rückblick nach Sachsen im Jahr 2004. Damals zieht die NPD mit 9,2 Prozent in den sächsischen Landtag ein – und liegt fast gleichauf mit der SPD. Das Entsetzen ist groß, weit über Sachsen hinaus. Der Einmarsch der Rechten ins Landesparlament beschert der NPD nicht nur eine politische Bühne. Das Wahlergebnis ist auch Geld wert. 70 Cent bekommt eine Partei für jede Stimme, wenn sie bei der Landtagswahl mehr als ein Prozent erreicht. Im Falle der NPD heißt das: rund 135.000 Euro vom Staat allein für dieses Ergebnis.

Ersatzparteien wären auch verboten

Der Staat beschert den Parteien einen beachtlichen Teil ihrer Einnahmen. Etwa 1,2 Millionen Euro im Jahr gehen beispielsweise an die NPD. Wählerstimmen und Spenden lassen die Kasse klingeln. „Teilfinanzierung“ heißt das im Fachjargon. Früher sagte man „Wahlkampfkostenerstattung“. Ohne diese Hilfe aber wäre die über 6000 Mitglieder zählende NPD längst pleite. Eine verbotene Partei bekommt natürlich nichts.

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Das wäre aus Sicht von Christian Pestalozza, Staatsrechtler an der Freien Universität Berlin, für die Rechtsextremen eine der schmerzhaftesten Konsequenzen aus einem Verbot. „Die finanzielle Basis der NPD würde komplett wegbrechen. Sämtliche Vergünstigungen, die das Parteiengesetz bietet, wären für die NPD verloren“, sagte Pestalozza der WAZ Mediengruppe. Kein Geld hieße: keine Kampagnen, keine Plakate, keine Büromieten, keine Öffentlichkeit. Das Verbot würde darüber hinaus die Organisation der Partei so zerschlagen, dass ein rascher Wiederaufbau kaum möglich wäre, glaubt Pestalozza.

NPD-Abgeordnete in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern würden sofort ihre Mandate verlieren. Und, noch wichtiger: „Das Aus für die NPD würde automatisch auch das Verbot aller Ersatzorganisationen beinhalten. Die NPD könnte nicht einfach unter neuer Flagge weitersegeln.“ Pestalozza hält das Parteienverbot für ein „gutes Drohmittel“ in der Verfassung. Es signalisiere, dass die Demokratie sich nicht ausnutzen lasse. „Dennoch wäre es der bessere Weg, die Wähler davon zu überzeugen, dass es nicht gut ist, die NPD zu wählen.“

Hajo Funke, Professor an der FU Berlin, gehört zu den profiliertesten Experten für Rechtsextremismus. Er glaubt, dass ein NPD-Verbot die extreme Rechte nachhaltig schwächen könnte. „Das geht, wenn die Politik in Bund, Ländern und Kommunen das Verbot konsequent umsetzt. Wir brauchen mehr politische Aufmerksamkeit als beim Verbot des militanten Netzwerkes ,Blood and Honor’ im Jahr 2000. Das war nicht nachhaltig“, so Funke. Der Politologe erinnert an das Verbot dreier rechtsextremer Kameradschaften in NRW. „Man wird sehen, ob die politische Aufmerksamkeit in NRW groß genug ist, um ein Wiedererstarken dieser Gruppen zu verhindern.“

„Rechtspopulisten können Zulauf bekommen“

Aber es gibt auch mahnende Stimmen, die auf die Risiken des NPD-Verbots hinweisen. Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler an der Technischen Uni Chemnitz, warnt: Ein NPD-Verbot berge das Risiko, dass sich die Rechte neu organisieren könnte. „Die NPD ist derzeit extrem schwach, sie ist simpel, primitiv und schmiert bei Wahlen ab. In diesem Zustand ist sie nicht gefährlich“, sagt Jesse. Es sei aber denkbar, dass sich ohne die NPD in Deutschland ähnliche rechtspopulistische Parteien entwickeln wie in den europäischen Nachbarländern.