Bochum. . Zwei Tage lang diskutierten rund 2000 Mitglieder in Bochum die Position der Partei zu Wirtschaftsfragen, zur Außenpolitik oder zur Gesellschaftsordnung. Rund 800 Anträge lagen vor, verabschiedet wurde nur ein kleiner Teil. Zähe Grundsatzdebatten und eine Technik mit Tücken waren zwei Gründe dafür.

Stunden schippern sie durch die Untiefen der Wirtschaftspolitik, bis einige Freibeuter befürchten, dass gar nichts mehr abgesegnet wird. Endlich stimmen sie ab. Feierlich verkündet Versammlungsleiter Stephan Urbach: „Wir haben ein Wirtschaftsprogramm“.

Halleluja! Endlich Inhalte statt Streit: Erleichtert klatschen 2000 Piraten.

Denn für die Polit-Novizen steht beim Parteitag im Bochumer Ruhr-Congress viel auf dem Spiel. Sie wollen die ­desaströsen letzten Monate vergessen machen, endlich „Inhalte, Inhalte, Inhalte“ liefern, wie es der politische Geschäftsführer Johannes Ponader forderte.

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Derzeit dümpeln die Piraten in den Umfragen bei vier bis fünf Prozent und müssen um den Einzug in den Bundestag bibbern; noch im Mai lagen sie bei 13 Prozent. Danach bohrten prominente Piraten kraftvoll Löcher ins Schiff; unvergessen ist die Schlammschlacht zwischen Ponader und Parteichef Bernd Schlömer, der den Kollegen ermahnte, er möge mal arbeiten.

Schlömers Entschuldigung

Höchste Zeit also für ein öffent­liches mea culpa: „Auch ich habe Fehler gemacht, dafür möchte ich mich bei euch entschuldigen“, sagt Schlömer der Basis. Fordert die Freibeuter dann auf, sich am Riemen zu reißen. „Es ist an der Zeit, sich zu besinnen, dass wir gemeinsam Politik machen wollen, ohne einander zu beschimpfen.“

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Die Piraten parieren: Die Mehrheit möchte, dass sich der erste Parteitag 2013 mit Inhalten statt Vorstandswahlen befasst. Es ist eine Art Vertrauensabstimmung, die der gescholtene Parteichef gewinnt. Das Gegenteil wäre ein Gau gewesen – angesichts der inhaltlichen Lücken, die die Polit-Neulinge bis zur Bundestagswahl füllen wollen.

Rund 800 Anträge liegen vor, 129 will der Parteitag abarbeiten. Eine Illusion. Meterlange Schlangen vor den Saalmikros, zähe Endlosdebatten begleiten die wirtschaftspolitischen Anträge. „Worthülsen“, meckert einer. „Politik bis in die tiefste Ebene“, kontert eine Piratin. Dann kollabiert auch noch das Internet.

Das Wirtschaftsprogramm

Stunden später werden die Grundsätze verabschiedet, das Bekenntnis zu einer freiheitlichen, gerechten und nachhaltigen Wirtschaftsordnung. Die Piraten lehnen das Streben nach „absoluter Vollbeschäftigung“ ab und fordern einen Mindestlohn. Sie wollen die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens prüfen lassen und setzen auf einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Ein „Meilenstein“, frohlockt Ponader. „Piraten können zukünftig auch Wirtschaft machen“, bemüht sich Schlömer um Deutungshoheit.

Tatsächlich haben die Piraten ein „Progrämmchen“ auf den Weg gebracht. Denn die Aufnahme der heiklen Punkte – wie das Verhältnis von Staat zu Wirtschaft oder zu Steuern – scheitert an der Zweidrittelmehrheit. „Die Piraten befassen sich mit Randaspekten“, urteilt der Göttinger Politologe Stephan Klecha. „Ihnen fehlt die ­piratige Idee, was Wirtschaft ist.“

Unbewaffnete Krisenprävention

Konsensfähig sind: der Einsatz für mehr Bürgerbeteiligung und Demokratie, die Aufwertung von Institutionen wie der Europäischen Union und der Uno sowie das Recht auf Einsicht in alle politischen Verträge.

Zudem setzen die Freibeuter auf das Konzept der unbewaffneten Krisenprävention. Strittige Fragen wie etwa Auslandeinsätze der Bundeswehr bleiben gleich außen vor.

Das Profil der Partei

Die Piraten müssten die „sozialliberale Kraft der Informations­gesellschaft“ werden, gibt Schlömer als Marschrichtung vor. Dumm nur, dass die Piraten ihr „sozialliberales Bauchgefühl nicht in programmatische Aussagen gegossen bekommen“, wie Klecha am Ende der beiden Tage bilanziert. In der Umwelt- und Energiepolitik zeigt sich die Nähe zu den Grünen.

Die Gesichter der Partei

Bei den Piraten zählt bekanntlich der Schwarm. Offenbar aber mit Abstrichen: „Wir müssen unsere Themen auch mit Gesichtern verbinden“, sagt Vize-Chef Sebastian Nerz dieser Zeitung. Der NRW- ­Piratenfraktionschef Joachim Paul würde sich freuen, wenn Marina Weisband, Medienliebling und politische Geschäftsführerin a.D., zurückkehren würde. „Es wäre schön, wenn Marina sagt, dass sie wieder Bock auf Politik hat“.