Erfurt. . Im Streit um ein Streikrecht auch für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen hat das Bundesarbeitsgericht am Dienstag die Position der Gewerkschaften Verdi und Marburger Bund gestärkt. Aber auch die katholische und die evangelische Kirchen sehen sich durch die Entscheidung gestärkt.

Auch Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen haben unter bestimmten Umständen ein Recht auf Streik. Das entschied das Bundesarbeitsgericht am Dienstag in Erfurt. Die Richter wiesen damit eine Klage der evangelischen Kirche ab, die den Gewerkschaften Verdi und Marburger Bund verbieten wollte, in Betrieben der Diakonie zu Streiks aufzurufen (Az: 1 AZR 179/11).

Allerdings lehnte das Gericht das von den Kirchen vertretene Modell zur Lösung von Arbeitskonflikten nicht grundsätzlich ab. Dieser sogenannte Dritte Weg schließt Streiks und Aussperrungen im Streit über Arbeitsbedingungen aus. Ein Streikverbot sei jedoch nur dann legitim, wenn die in den Verhandlungen getroffenen Vereinbarungen verbindlich seien und die Gewerkschaften daran beteiligt würden, urteilte das Gericht. Sonst dürfe zu Streiks aufgerufen werden.

Streit um Streitrecht bei der Kirche könnte vor dem Bundesverfassungsgericht landen

Die Gewerkschaft Verdi begrüßte das Urteil. "Damit ist das von der Diakonie beantragte Streikverbot vom Tisch", sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske in Erfurt. Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen und Verdi könnten sich auf die Koalitionsfreiheit und damit auf das Streikrecht berufen, weil der "Dritte Weg" unzureichend sei.

Vertreter beider Seiten hatten zuvor angekündigt, im Falle einer Niederlage in Erfurt vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Während Bsirske einen solchen Schritt ausschloss, will die Diakonie zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.

Hintergrund des aktuellen Rechtsstreits waren Warnstreiks, die Verdi und der Marburger Bund in den Jahren 2009 und 2010 in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg organisierten. Vor dem Landesarbeitsgericht Hamm und den Arbeitsgericht Hamburg waren Anfang 2011 die Klagen der evangelischen Kirche abgewiesen worden. Nach Ansicht der Hammer Richter "rechtfertigt das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen jedenfalls keinen vollständigen Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen im Bereich kirchlicher Einrichtungen". Auch sei der "Dritte Weg" nicht geeignet, "der Arbeitnehmerseite vergleichbare Chancen zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu vermitteln", wie sie außerhalb der Kirche mit Tarifvertrag und Arbeitskampf zur Verfügung stünden.

Kirchen sehen sich durch BAG-Urteil gestärkt

Die beiden großen Kirchen sehen sich durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Streikrecht in ihrem Selbstbestimmungsrecht gestärkt. Durch die Entscheidung werde "das System der partnerschaftlichen Tariffindung in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen im Grundsatz bestätigt", teilte die Deutsche Bischofskonferenz am Dienstag in Bonn mit.

Die katholische Kirche in Deutschland und ihre Caritas würden diesen Weg auch in Zukunft fortsetzen. Eine genaue Beurteilung der Entscheidung sei jedoch erst nach sorgfältiger Analyse der vollständigen Urteilsbegründung möglich.

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland begrüßte das Urteil, mit dem der Einfluss der Gewerkschaften in den tariflichen Auseinandersetzungen gestärkt wurde. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sei "klar bestätigt" worden, sagte der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke. Die EKD zeigte sich offen für Gespräche mit den Gewerkschaften. "Wir sind bei der Weiterentwicklung unseres Arbeitsrechts nach wie vor zum Dialog mit den Gewerkschaften bereit und laden sie erneut zur Beteiligung am Dritten Weg ein", sagte Anke. (dapd)