Berlin. . Mit einem bewegenden Appell hat Altkanzler Helmut Kohl (CDU) die Einheit Europas angemahnt. „Europa darf nie wieder im Krieg versinken“, sagte Kohl bei einer Feier am Donnerstag in Berlin. Anlass ist seine Wahl zum Kanzler vor nunmehr 30 Jahren.

Es klingt wie sein Vermächtnis: „Europa darf nie wieder in Krieg versinken“, sagt Helmut Kohl, langsam und vorsichtig artikuliert er jedes Wort. „Wir wollen weitermachen in der Einigung Europas.“ Der Altkanzler sitzt aufrecht in seinem Rollstuhl auf der Bühne, das Sprechen kostet Kraft, der Blick ist ernst, aber der 82-Jährige ist hochkonzentriert. „Lassen Sie uns die Zeit nützen, machen wir uns auf den Weg“, mahnt Kohl und verspricht, auch er wolle sein Mögliches tun.

Im Deutschen Historischen Museum in Berlin ist es ganz still. 800 Gäste sind Donnerstagabend zum Festakt gekommen, mit dem die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung an den 30. Jahrestag von Kohls erster Kanzlerwahl am 1. Oktober erinnert wollte. Viele frühere Weggefährten auch aus dem Ausland sitzen im Schlüterhof unter dem Glasdach, Christdemokraten meist, Freunde und auch einige mit Kohl entzweite Politiker – sogar Wolfgang Schäuble, der zur Begrüßung mit langem Beifall bedacht wird für diese Geste.

Kohl redet langsam, aber flüssig fünf Minuten lang; das ist viel für ihn, nicht jedes Wort ist zu verstehen. Am Ende feiern sie ihn mit stehendem Applaus. Die Botschaft des alten Staatsmanns ist klar: Erstens Europa. Und zweitens: Stolz auf sein Lebenswerk. Er danke allen, die ihn provoziert und herausgefordert hätten, sagt er mit rückblickendem Triumph und meint: „Es war eine fantastische Zeit.“

Merkel würdigt Kohl als Modernisierungskanzler

Es ist fast wie ein Familientreffen. Der frühe EU-Kommissionspräsident Romano Prodi sagt: „Helmut Kohl hat Träume in Realität umgesetzt: die deutsche Vereinigung und die Unumkehrbarkeit des europäischen Projekts.“Wer nicht selbst zur Kohl-Feier kommen kann, sendet Video-Botschaften wie Ex-US-Präsident George Bush und lobt den Altkanzler vor allem für seine Wiedervereinigungspolitik und seine außenpolitische Verlässlichkeit. Oder lässt, wie der krankheitsbedingt verhinderte Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann, seine vorgesehene Rede verlesen: Lehmann erinnert an die von Kohl 1982 proklamierte geistig-politische Wende, was diesem noch heute offenkundig wichtig ist.

„Eine Verbeugung vor Ihrem Lebenswerk“, nennt Kanzlerin Angela Merkel als Festrednerin die Feierlichkeit. Sie würdigt Kohl als Modernisierungskanzler, lobt aber natürlich vor allem seine Vereinigungspolitik: „Welch unschätzbares Glück, dass Deutschland auf einen Kanzler des Vertrauens bauen konnte, als sich 1989 die Gelegenheit bot, das Tor zur Deutschen Einheit aufzustoßen.“ Kohl hört sehr aufmerksam zu, unruhig wandert sein Blick, manchmal nickt er, ab und zu greift seine Frau Maike Kohl-Richter seine Hand, nickt ihm aufmunternd zu.

Keine Versöhnung mit Schäuble

Merkel, deren Verhältnis zum Altkanzler nicht unkompliziert ist, zeigt aber, dass sie beim Thema Europa eine gelehrige Schülerin Kohls ist: „Europa ist unser Schicksal und unsere Zukunft“, mahnt sie in Variationen. „Wir Europäer sind zu unserem Glück vereint. Ein gutes Stück dieses Glücks haben wir Helmut Kohl zu verdanken. Er hat sich um unser Land und Europa verdient gemacht.

Zum Abschluss überreicht die Kanzlerin dem Altkanzler ein besonderes Ehren-Geschenk: Ein Album der neuen Kohl-Sonderbriefmarke mit seinem Konterfei und den Worten „Helmut Kohl – Kanzler der Einheit – Ehrenbürger Europas“. Er ist nach Papst Benedikt XVI der zweite Deutsche neben den Bundespräsidenten, der zu Lebzeiten mit einer Briefmarke geehrt wird. Die 55-Cent-Marke gibt es in einer Auflage von fünf Millionen, ab 11. Oktober ist sie im Handel. Eigentlich wäre es nicht Merkels Aufgabe, sondern die des zuständigen Finanzministers Schäuble, Kohl die erste Marke zu übergeben. Schäuble hat jetzt, zwölf Jahre nach ihrem Zerwürfnis in der CDU-Spendenaffäre, zwar erklärt: „Ich hatte das Glück, einer von Kohls Vertrauten zu sein.“ Doch so weit, Kohl persönlich zu ehren, wollte Schäuble dann doch nicht gehen. Zur Versöhnung kommt es an diesem Abend nicht.