Bengasi/Tunis/Kairo. . Weltweit demonstrierten am Freitag wieder Muslime gegen Mohammed-Schmähungen aus dem Westen. Nicht überall mit Gewalt: In Libyen, Tunesien und Ägypten werden die Stimmen der Gemäßigten immer lauter.

Seit den frühen Morgenstunden waren die Aktivisten auf den Beinen. Ein roter Rettungsring prangt auf ihren blütenweißen T-Shirts mit der Aufschrift „Rettet Bengasi“ – das Motto einer Freitagsdemonstration ganz anderer Art, zu der zahlreiche Bürgergruppen in der ostlibyschen Hafenstadt aufgerufen haben, einst das Zentrum des Widerstands gegen Muammar Gaddafi.

„Die Welt soll wissen, Bengasi ist nach wie vor gegen den Mohammed-Film und die Beleidigung des Propheten“, sagt Bilal Bentamer, Jurastudent und einer der Mitorganisatoren. „Aber wir verurteilen die Tötung von Freunden wie dem US-Botschafter Chris Stevens. Und die Welt soll wissen, in Bengasi und Libyen sind die Extremisten nicht in der Mehrheit.“

Libyer marschieren für die Meinungsfreiheit

Tausende Menschen – die meisten ganz in weiß gekleidet – machten sich am Nachmittag von dem „Tibesti“ Hochhaus-Hotel im Zentrum der Stadt auf den Weg zum Shajara-Platz an der Corniche, wo die Rebellen gegen Gaddafi einst ihr Hauptquartier hatten. Vier Forderungen hatten sie – Auflösung aller Milizen, ein Strafgesetz gegen das Tragen von Waffen, Räumung aller öffentlichen Gebäude von bewaffneten Kämpfern sowie Aufbau einer effektiven Polizei und Armee. Gleichzeitig geht es den Organisatoren aber auch um das Recht auf freie Meinungsäußerung und um mehr Mäßigung in der Religion. „Wir sind alle Muslime“, erklärt Aktivist Bilal Bentamer. „Diese Leute können nicht einfach den Propheten allein für sich reklamieren.“

Und so wächst in Libyen, aber auch in den beiden anderen Nationen des Arabischen Frühlings, Tunesien und Ägypten, der zivile Widerstand gegen die neuen, radikalen Eiferer. Immer mehr Bürgern wird bewusst, dass die Salafisten religiöse Provokationen wie das Mohammed-Video nutzen, um eine viel weitergehende Agenda durchzusetzen. Ohne Skrupel reklamieren sie die Deutungshoheit darüber, wie künftig die neue arabisch-islamische Welt aussehen soll. Nicht divers, tolerant und offen, wie es die Mehrheit der moderaten Muslime oder Sufi-Gläubigen wünscht, sondern „koranisch“ – mit radikaler Eindeutigkeit und einfachen Parolen, notfalls erzwungen durch Einschüchterung und rohe Gewalt im Namen Gottes.

Tunesiens Muslimbrüder gehen auf Distanz

Tunesiens Chef der Ennahda-Muslimbruderschaft, Rached Ghannouchi, sah sich jetzt erstmals genötigt, auf klaren Konfrontationskurs zu gehen. „Jedes Mal, wenn Parteien oder Gruppen in schamloser Weise auf unserer Freiheit herumtrampeln, müssen wir entschlossen reagieren, hart durchgreifen und auf der öffentlichen Ordnung pochen“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur AFP. „Denn diese Leute sind nicht nur eine Bedrohung für Ennahda, sondern für die Sicherheit und Freiheit des ganzen Landes.“ Gleichzeitig verbot die Regierung in Tunis für Freitag sämtliche Protestkundgebungen im Land.

Auch in Ägypten blieb es diesmal ruhig. Kein Vergleich zu den Bildern vor einer Woche, als ein vieltausendköpfiger Mob die amerikanische Botschaft bestürmte und sich drei Tage lang blutige Straßenschlachten mit der Polizei lieferte. Gemeinsam erklärten Muslimbrüder und Salafisten, sie würden allen Demonstrationen fernbleiben und sich darauf beschränken, in der französischen Mission ein Protestschreiben gegen die „Charlie Hebdo“-Karikaturen abzugeben. Zu Ruhe und Umsicht mahnte auch der sunnitische Obermufti Ägyptens. „Es ist absolut klar, dass jegliche Gewalt, egal ob sie aus religiösen Motiven oder aus weltlichen Interessen gespeist wird, total zu verdammen ist“, schrieb Scheich Ali Gomaa in einem Essay für den Fernsehsender „Al Arabiya“.

Der Prophet ist uns heilig, ist das so schwer?

„Natürlich ärgert uns dieser Videofilm“, bekannte ein junger Mann, bevor er mit seinem kleinen Gebetsteppich unter dem Arm nach dem Freitagsgebet in der Al-Nour-Moschee am Nilufer seiner Wege ging. „Der Prophet ist uns heilig, und ich frage mich, warum ist das so schwer zu respektieren?“