Münster. . Münsters Polizeipräsident sieht weniger Morde, dafür mehr Rempeleien als früher. Als Grüner lobt er die Personalpolitik der Landesregierung. Und er erklärt im Interview, von welchen unsinnigen Aufgaben er seine Beamten gerne entlasten würde.
Die Chefzimmer in den NRW-Präsidien sind Frauendomäne. Es gibt neun Präsidentinnen und nur acht Präsidenten. Doch Münsters Polizeichef Hubert Wimber fühlt sich nicht als leiser Vertreter einer Minderheit. Er steht gleichzeitig der Arbeitsgemeinschaft deutscher Polizeipräsidenten vor. Und die will in Zukunft mehr als bisher in der politischen Debatte mitreden. Ein Gespräch über Sicherheit und Lösungen für die Zukunft.
In Dortmund sind drei Kinder getötet worden – mutmaßlich von der Lebensgefährtin des Vaters. In Oberhausen starb ein Achtjähriger durch Messerstiche. Das alles binnen einer Woche. Nur Einzelfälle? Oder nimmt solche Gewalt zu?
Hubert Wimber: Solche Fälle sind tragisch, gerade, wenn es sich um Beziehungsdelikte handelt. Aber sie hat es immer gegeben. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung gehen Tötungsdelikte seit den 80er- Jahre tatsächlich zurück. Es gibt keine gesellschaftliche Entwicklung, die heißt: Kriminalität kostet immer mehr Menschenleben. Die Zahl der Tötungen von Kindern und im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch ist gegenüber den 70er Jahren um 40 Prozent gesunken. Ich will nicht bagatellisieren. Aber es ist die gesellschaftliche Realität, wie sie Statistiken und Forscher bestätigen.
Wird es bei uns also friedlicher?
Wimber: Das wiederum kann die Polizei nicht bestätigen. Unsere Beamten stellen fest, dass es eine zunehmende Aggressivität gibt, eine zunehmende Brutalität. Der Ton wird rauer. Da entwickelt sich eine Ellbogengesellschaft, die auf den individuellen Vorteil bedacht ist. Andererseits sind Menschen auch eher bereit, Anzeige zu erstatten. Gerade bei Körperverletzungen ist das so.
Sind Polizisten davon betroffen?
Wimber: Aggressionen gegen Polizisten nehmen zu, ja. Nachts in der Partyszene, vor Restaurants, vor allem bei den Einsätzen zur Sicherung von Fußballspielen. Oft spielt Alkohol eine Rolle dabei.
Wie wird sich die Kriminalität bis 2030 entwickeln?
Wimber: In Deutschland werden heute jedes Jahr rund sechs Millionen Straftaten verübt. Neben der Globalisierung der Warenströme gibt es die der Menschen. Migration wird sich verändern. Das alles kann auf die Größenordnung der Kriminalität Einfluss haben, vor allem, wenn die sozialen Unterschiede die Gesellschaft mehr spalten als das heute der Fall ist. Auch die Spielarten der Kriminalität selbst verschieben sich. Wer heute noch einen Bankraub verübt, ist, Verzeihung, bescheuert – denn kriminelle Gewinne werden über die elektronische Schiene weit eher erzielt. Ich glaube aber, dass sich an der Größenordnung, an den sechs Millionen Straftaten, so schnell nichts ändert.
Die Belastung der Polizei wird also gleich bleiben, die Personalstärke nimmt ja nicht zu. Und viele Ihrer Kollegen gehen in den Ruhestand. Sorgt sie das?
Wimber: Ich lobe diese Landesregierung und auch die Vorgängerregierung. Denn in Nordrhein-Westfalen wird die Personallage stabilisiert. Wir können in den Präsidien bis 2016 mehr Bewerber einstellen als Abgänge da sind. Erst danach kippt es. Deswegen können wir zunächst mit einer konstanten Zahl von 39 000 Beamten in NRW planen. Das ist besser als in anderen Ländern. Man muss auch sagen: Mehr gibt der Landeshaushalt nicht her. Es hat keinen Sinn, immer nach mehr zu rufen.
Es scheint so, als wollten Sie lieber Aufgaben abgeben…
Wimber: Ja. Denn wir haben durch neue Formen der Kriminalität natürlich auch einen erheblichen zusätzlichen Personalbedarf. Ich weise auf Internet-Straftaten hin, auf Mehrarbeit beim polizeilichen Staatsschutz. Dort ist seit dem Bekanntwerden der Taten der Zwickauer Zelle Erhebliches hinzugekommen. Wir gehen seither bei jedem noch so vagen Verdacht der Frage nach, ob hinter einer Straftat nicht ein rechtsextremer Hintergrund steckt. Das ist natürlich Aufwand.
Wo kann sich Polizei zurückziehen?
Wimber: Wir müssen uns von Aufgaben trennen. Es ist mit dem Innenminister abgesprochen, dass wir dieses Thema anpacken. Warum muss die Polizei Blechschäden im Verkehr aufnehmen, bei denen keiner verletzt wurde? Mit einem Personalaufwand von regelmäßig zwei Kollegen und einem Zeitaufwand von ein bis eineinhalb Stunden klären wir Sachverhalte für Haftpflichtversicherer. Bagatellunfälle sind keine Aufgabe der Polizei. Sie nehmen aber rund 30 Prozent unseres Wach- und Wechseldienstes in Anspruch. Dabei ruft uns auch keiner, wenn um den Baum an der Gartengrenze gestritten wird. Warum sind wir die Verkehrserzieher der Nation? Oder: Die Begleitung von Schwertransporten auf der Autobahn. Kann der Unternehmer nicht selbst verantwortlich dafür sein? Es gibt sachverständige private Firmen, die das für ihn gegen Bezahlung regeln.
Für Fußball-Einsätze gilt das auch?
Wimber: Ein Drittel der geschlossenen Einsätze der Bereitschaftspolizei sind Fußball-Einsätze. Das sind 260.000 Arbeitsstunden im ersten Halbjahr in NRW gewesen. Von dieser Intensität müssen wir runter. Es laufen Gespräche mit den Vereinen.