Berlin. . Wie teuer kann die Euro-Hilfe für die Bundesrepublik werden? Doppelt so teuer, sagt ein vertrauliches Gutachten. Demnach sind die Kontrollrechte des Bundestags nicht so umfassend, wie die Regierung immer behauptet. Linke-Chef Bernd Riexinger spricht sogar von einer “Lüge“.

Wenige Wochen nach der Bundestagsentscheidung zum dauerhaften Rettungsschirm ESM mehren sich die Hinweise auf versteckte Risiken der Euro-Hilfen: Die Kontrollrechte des Bundestags über den ESM sind offenbar doch nicht so umfassend wie von der Bundesregierung angegeben. Nach einem vertraulichen Gutachten aus dem Bundestag, das der WAZ Mediengruppe vorliegt, kann der ESM auch von Deutschland weitere Bareinzahlungen in Milliardenhöhe abrufen, ohne dass dagegen eine Veto-Möglichkeit von deutscher Seite besteht.

Die Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom 24. Juli ist brisant, weil sie sechs Wochen vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM Befürchtungen der Kritiker bestätigt. Bisher war die Parlamentszustimmung zum ESM auch mit den weit reichenden Mitbestimmungsrechten des Bundestags gerechtfertigt worden. Es gebe keine Entscheidung über Steuergelder am Parlament vorbei, hieß es.

Veto-Recht kann ausgehebelt werden

Tatsächlich kann eine Ausweitung des Stammkapitals von 80 Milliarden Euro, von denen Deutschland 21,7 Milliarden Euro trägt, oder eine Erhöhung des Darlehensvolumens von 500 Milliarden nur mit Zustimmung des Bundestags oder seines Haushaltsausschusses erfolgen.

Aber: Dieses Vetorecht gilt nicht, wenn nach „Operationen“ des ESM Verluste beim Barkapital von 80 Milliarden Euro ausgeglichen werden sollen. Dann kann das ESM-Direktorium mit einfacher Mehrheit Kapital „abrufen“ – von Deutschland gemäß seinem Anteil erneut bis zu 21,7 Milliarden Euro innerhalb von zwei Monaten. Das Bundestags-Gutachten lässt keinen Zweifel an der Auslegung des Vertrags: Deutschland habe 27 Prozent der Stimmrechte und könnte damit letztlich einen solchen Kapitalabruf „nicht sperren“.

Linke warnt vor Sozialkürzungen

Das Gutachten war von Linken-Abgeordneten angefordert worden. Linke-Chef Bernd Riexinger sagte der WAZ Mediengruppe: „Die Behauptung, dass Geld nur mit Zustimmung des Bundestags fließt, ist eine Lüge. Deutschland kann sogar gegen den Willen des Parlaments zur Zahlung zweistelliger Milliardenbeträge in die Euro-Kasse verpflichtet werden.“

Riexinger warnte, es drohten als Konsequenz aus den Milliardenpflichten Sozialkürzungen. Er zeigte sich zuversichtlich, dass das Verfassungsgericht den ESM kippen werde. Der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Homburg, der eine der Verfassungsklagen unterstützt, warnte gestern, Parlament und Öffentlichkeit würden beim ESM in die Irre geführt - Nachschusspflichten seien höher, die angebliche Belastungsobergrenze existiere gar nicht.

Zudem bestätigt das vertrauliche Gutachten auch, dass den Angestellten des ESM hohe Gehälter in Aussicht gestellt werden: So soll der Geschäftsführende Direktor ein Grundgehalt von 324.000 Euro im Jahr gekommen, mehr als die Bundeskanzlerin, Direktoriumsmitglieder erhielten ein Grundgehalt von bis zu 204.000 Euro.