Aleppo. Mit einem Großaufgebot an Panzern und Kampfhubschraubern hat die syrische Armee ihre angekündigte Offensive zur Rückeroberung der Stadt Aleppo begonnen. Regierungssoldaten umzingelten das von Aufständischen gehaltene Viertel Salaheddin und attackierten es mit schwerer Artillerie. Weltweit forderten Politiker aus Sorge um die Zivilbevölkerung, die Offensive sofort abzubrechen.

In Syrien haben Regierungstruppen nach Angaben von Oppositionellen die Millionenmetropole Aleppo am Samstag aus der Luft beschossen. Zudem brachte die Armee demnach gepanzerte Fahrzeuge für einen Sturm auf das wirtschaftliche Zentrum des Landes in Stellung. Der Kampf um die größte syrische Stadt könnte zu einer der entscheidenden Schlachten in dem seit 16 Monaten andauernden Konflikt zwischen Präsident Baschar al-Assad und den Rebellen werden. Die USA befürchten ein Massaker. Die von den Flüchtlingsströmen besonders betroffene Türkei rief die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf.

Von Hubschraubern aus sei der im Zentrum gelegene Stadtteil Salaheddine beschossen worden, teilte die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Auch in anderen Vierteln sei es zu schweren Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und Assad-Gegnern gekommen. Drei Rebellen seien in der Nacht zum Samstag getötet worden.

"Wir haben Aleppo verlassen, als wir Rauch und Hubschrauber gesehen haben"

Viele der 2,5 Millionen Einwohner Aleppos flüchteten vor den Kämpfen. "Wir leben in einem Kriegsgebiet", sagte ein Mann in seinen Vierzigern, der seine Angehörigen nach Asas in der Nähe der türkischen Grenze in Sicherheit bringen wollte. "Meine Familie und ich fahren immer hin und her, um den Kämpfen aus dem Weg zu gehen. Wir haben Aleppo verlassen, als wir Rauch und Hubschrauber gesehen haben."

Der Schwerpunkt des Aufstandes gegen Präsident Baschar al-Assad lag lange Zeit in den Provinzen. In der vergangenen Woche riefen die Rebellen eine Schlacht um die Hauptstadt Damaskus aus, wo seitdem die Gewalt sprunghaft zugenommen hat. Auch in Aleppo haben sie nach eigenen Angaben und Augenzeugen zufolge die Kontrolle über mehrere Stadtteile an sich gerissen.

Videoaufnahmen zeigen Rauch, der aus Wohnhäusern aufsteigt 

Die Armee wolle mit dem Beschuss die Rebellen aus ihren Hochburgen in Aleppo vertreiben, sagten Regierungsgegner am Freitagabend. Zugleich solle ihnen der Nachschub abgeschnitten werden. Die Syrische Beobachtungsstelle zeigte Videoaufnahmen, auf denen zu sehen war, wie Rauch aus Wohnhäusern aufstieg. Zudem waren Gewehrschüsse deutlich zu hören.

Militärexperten räumen Assads Truppen zwar die größeren Chancen in Aleppo und anderen großen Städten ein. Dennoch gewännen die Rebellen an Stärke, während das Militär schwächer werde, da es die Kontrolle in den ländlichen Gebieten verlöre, sagte der Experte Ayham Kamel von der Eurasia Group.

Auch aus anderen Teilen des Landes wurde von Kämpfen berichtet, so aus Homs und Hama, wo zu Beginn der 1980er Jahre ein Aufstand gegen Assads Vater niedergeschlagen wurde. Zehn Menschen wurden der Beobachtungsstelle zufolge am Samstag bei dem Einmarsch von Regierungstruppen in einen Ort nahe der Hauptstadt Damaskus getötet.

Sorgen wegen syrischen Chemiewaffen

Als Reaktion auf die Kämpfe um Aleppo rief der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan arabische Länder und den UN-Sicherheitsrat zur Zusammenarbeit auf. Er zeigte sich auch wegen des Chemiewaffenarsenals der syrischen Führung besorgt. Der britische Premierminister David Cameron sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan am Freitag in London, beide Länder fürchteten "wirklich entsetzliche Handlungen" der Regierungstruppen in und um die Metropole. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay forderte beide Seiten auf, Zivilisten zu verschonen.

Die syrische Führung hatte vor wenigen Tagen erstmals zugegeben, über Chemiewaffen zu verfügen und damit gedroht, diese im Fall einer ausländischen Militärintervention einzusetzen. Russland, das drei Syrien-Resolutionen der UN mit seinem Veto blockierte, erklärte zwar, dass westliche und arabische Länder mehr Druck auf Assad ausüben sollten, warnte aber gleichzeitig vor einer Unterstützung der Rebellen. Dies führe nur zu mehr Blutvergießen.

Allein am Freitag soll es 160 Tote gegeben haben

Es könne nicht erwartet werden, dass die Regierung sich freiwillig ihren Gegnern ergebe. Russland verweigerte zudem, sich den EU-Sanktionen zu beugen und seine Schiffe auf Waffenlieferungen nach Syrien durchsuchen zu lassen.

Weder die Truppen von Assad noch die Rebellen haben in dem Konflikt bislang militärisch die Oberhand gewinnen können. Tausende Menschen flohen in die Nachbarländer. Nach Schätzungen der Opposition wurden insgesamt mindestens 18.000 Menschen getötet, allein am Freitag soll es 160 Tote gegeben haben. Die Angaben aus Syrien lassen sich kaum überprüfen, weil die Regierung unabhängigen Journalisten den Zugang weitgehend verweigert. (afp/reuters)