Kabul. Die Taliban seien in Afghanistan nicht auf dem Vormarsch - damit widerspricht Bundesverteidigungsminister Jung hochrangigen Militär-Fachleuten. «Wir bekommen die Lage in Griff», ist Jung überzeugt. General a.D. Kujat sieht große Gefahren und ordert eine bessere Ausrüstung für die Soldaten.

Die Taliban haben nach Ansicht von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung in Afghanistan nicht die Oberhand gewonnen. Der CDU-Politiker trat damit der Einschätzung des neuen NATO-Befehlshaber der ISAF-Truppen, US-General Stanley McChrystal entgegen.

Der «Neuen Osnabrücker Zeitung» sagte Jung: «Ich will nichts verharmlosen, aber diese Einschätzung teile ich nicht. Tatsache ist, dass im Norden Afghanistans, wo wir die Verantwortung tragen, zwölf Prozent der Distrikte als kritisch einzustufen sind. Auch in den anderen Landesteilen hat sich die Sicherheitslage verschärft. Das heißt aber nicht, dass die Taliban die Oberhand gewonnen hätten.» So sei die «Operation Adler» im Raum Kundus unter Führung der afghanischen Armee erfolgreich gewesen. «Die Taliban wurden dort zurückgeschlagen», sagte Jung.

Verteidigungsminister will Optimismus verbreiten

Gerade die letzten Tage und Wochen hätten gezeigt, «dass unsere Soldatinnen und Soldaten, etwa von der Quick Reaction Force, in der Lage sind, Sicherheit herzustellen. Zusammen mit den Afghanen sind sie im Raum präsent und stellen die Taliban. Ich bin auch optimistisch, dass wir die Lage insgesamt in Afghanistan in den Griff bekommen werden.»

Mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg der Union bei der Bundestagswahl versprach der Verteidigungsminister, dass derzeit keine Aufstockung der deutschen Afghanistan-Einheiten geplant sei. «Unser ISAF-Mandat des Bundestages läuft bis zum 15. Dezember. Wir müssen die Entwicklung in Afghanistan abwarten, aber ich bin derzeit der Auffassung, dass wir eine ausreichende Obergrenze bei dem Truppenkontingent haben.»

"Überall auf dem Vormarsch"

Nach dem amerikanischen ISAF-Oberbefehlshabers General McChrystal warnte jetzt auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Harald Kujat, vor der zunehmenden Gefahr durch die Taliban. Sie seien «überall auf dem Vormarsch», auch im Norden Afghanistans, sagte Kujat der «Bild»-Zeitung. Darauf müsse die Bundeswehr reagieren: «Wir müssen unbedingt die Initiative ergreifen, dürfen uns nicht von den Taliban diktieren lassen, wann wo sie uns angreifen»

Der General mahnte, keine falschen Rücksichten zu nehmen: «Niemand darf sich von Entscheidungen abhalten lassen, nur weil wir vor Bundestagswahlen stehen und das vielleicht Stimmen kosten könnte.» Zu den richtigen Entscheidungen gehöre auch, den Soldaten mehr Ausrüstung und Gerät zu Verfügung zu stellen. Kujat sagte: «Moderne Streitkräfte wie unsere sollten über einen Informationsvorsprung verfügen - dann würden sie kaum in Hinterhalte geraten.»

USA starten Offensive in Südafghanistan

Gut eine Woche vor der Präsidentschaftswahl in Afghanistan hat die US-Armee erneut eine Offensive gegen Aufständische im unruhigen Süden des Landes gestartet. Der Einsatz «Östliche Entschlossenheit II» habe Mittwochfrüh im Bezirk Naw Sad in der Provinz Helmand begonnen, teilte die US-Armee in einer Erklärung mit. Neben 400 US-Soldaten seien auch 100 afghanische Soldaten beteiligt. Mit der Offensive will die US-Armee nach eigenen Angaben die radikalislamischen Taliban daran hindern, die Wahlen am 20. August zu stören und afghanische Bürger durch Einschüchterungen von der Stimmabgabe abzuhalten.

Anfang Juli hatte die US-Armee mit 4000 Marine-Infanteristen sowie afghanischen Truppen die Großoffensive «Schwertstoß» gegen die Taliban in Helmand gestartet. Die Gewalt von Aufständischen in Afghanistan hatte in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen.

In der nördlichen Provinz Kundus wurde der Polizeichef des Bezirks Artschi getötet, wie die Behörden am Mittwoch mitteilten. Aufständische hätten zunächst mehrere Polizisten angegriffen, sagte der örtliche Regierungschef Schaich Dabi. Als der Polizeichef den Beamten zu Hilfe gekommen sei, hätten die Taliban ihn und einen seiner Leibwächter getötet. Drei Polizisten wurden verletzt. In Kundus, wo die meisten Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert sind, hat die Gewalt dieses Jahr ebenfalls deutlich zugenommen.(ap/ddp/afp)