Kabul/Essen. Mitten im hoch gesicherten Regierungsviertel der Hauptstadt schlagen Raketen ein. In den umkämpften Provinzen Kandahar, Helmond und Wardak häufen sich spektakuläre Bombenanschläge.

Angriffe auf Militärkonvois und Polizeistationen sind selbst im weniger gefährdeten Norden Afghanistans, wo die Deutschen ihr Feldlager aufgeschlagen haben, an der Tagesordnung. Nie zuvor seit dem Sturz der Taliban vor acht Jahren war die Sicherheit am Hindukusch so prekär wie jetzt, eine Woche vor den Wahlen eines neuen Präsidenten und der Provinzräte.

Überall sind die radikal-islamischen Gotteskrieger auf dem Vormarsch, dreht sich die Spirale der Gewalt: Im Juli, dem blutigsten Monat seit ihrem Einmarsch nach dem 9. September 2001, fielen 76 alliierte Soldaten der aus 40 Nationen bestehenden ISAF-Schutztruppe. Deren Oberbefehlshaber, der amerikanische General McChrystal, spricht von einem „sehr aggressiven Feind“ – und wird nach dem Wahltag eine Verstärkung der internationalen Truppen einfordern – auch in Berlin. Doch die Fragen werden immer lauter, ob das Ziel des Militäreinsatzes noch einer Öffentlichkeit zu vermitteln ist, die immer mehr Zweifel hegt, ob die überforderten ausländischen Helfer nicht längst mit ihrem Bemühen gescheitert sind, Afghanistan zu befrieden.

Noch kein Staat

Eigentlich sollte die Wahl des Staatspräsidenten und der Provinzräte den Übergang zur „Afghanisierung“, zur Normalität des Alltags markieren. Doch der Staatsaufbau ist hinter den gesteckten Zielen zurück geblieben, das Klima verbreiteter Korruption hält an, der Drogenanbau boomt und unter Afghanen (wie den westlichen Geberländern) herrscht die Meinung vor, die ein Taxifahrer in Kabul formuliert: „Karsai und seine Regierung dienen nicht dem Volk, sondern arbeiten für ihren eigenen Vorteil“.

Dennoch wird der alte Präsident wohl auch der neue sein. Denn außer Ex-Außenminister Abdullah Abdullah, einem Tadschiken, hat keiner der mehr als 40 Bewerber ernsthafte Chancen gewählt zu werden. Auch deshalb wohl sind nur noch in den Kulissen die kritischen Stimmen aus dem Westen zu vernehmen, die Hamid Karsai vorhalten, er suche sich zu profilieren, indem er Übergriffe der ISAF-Soldaten auf Zivilisten anprangere, die Gewalt der Aufständischen aber mit Schweigen übergehe.

Kontrolle durch die Taliban

Deren fanatischer Anführer Mullah Omar hat zum Boykott der Wahlen aufgerufen und schlägt alle Angebote zu Verhandlungen aus. Mit massiven Einschüchterungsversuchen suchen die Taliban die Wähler an der Stimmabgabe zu hindern. Doch ausgerechnet in jenen Gebieten, wo die Aufständischen sehr präsent sind, haben sich besonders viele Wähler registrieren lassen. Allerdings werden nicht überall im Land die Wahllokale öffnen können: 133 der 356 Distrikte Afghanistans gelten als hoch gefährdet, mindestens 13 (und damit ein Drittel des Landes) werden gar von den Taliban kontrolliert.

Es sind Wahlen in Zeiten des Krieges. Kein Wunder, dass Karl Eide, der Chef der UNO-Mission in Afghanistan, von der „schwierigsten Wahl“ spricht, die er je erlebt habe. „Sie wird nicht perfekt sein“, weiß auch der US-Sondergesandte Richard Holbrooke. Doch eine Verschiebung des Urnengangs würde vermutlich ein noch verheerenderes Signal setzen als die Mehrfachregistrierungen jener, die auf dem Schwarzmarkt Wählerkarten erworben haben . . .