Dohuk. . In einem Lager im Nordirak leben tausende Flüchtlinge aus Syrien. Die Position der Kurden im Syrien-Konflikt ist unklar: Zwar ist ihnen Assad verhasst, viele haben aber Angst, dass ihre Lage noch schlimmer werden könnte, wenn sich die islamistisch geprägte Opposition in dem militärischen Ringen durchsetzt.
Lukman Hezni Mohamad steht unter den Plastikplanen, mit denen er sich einen provisorischen Laden gebaut hat. Er verkauft hier Gemüse und Getränke. Es ist unerträglich heiß, fast fünfzig Grad. Er schwitzt, auf seiner Kleidung liegt der allgegenwärtige Staub, der die Zelte im Lager braun gefärbt hat. Der Strom ist immer wieder weg, das Wasser ist knapp. „Es geht mir gut“, sagt Mohamad, „die Hauptsache ist doch, dass man nicht getötet wird.“ Der 40-Jährige lebt mit seiner Familie seit einem Monat in Domiz, einem Flüchtlingslager im kurdischen Nordirak, gut 30 Kilometer von der Provinzhauptstadt Dohuk entfernt. Wie alle Bewohner von Domiz ist Mohamad Kurde, wie alle anderen ist er vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen.
6800 registrierte Flüchtlinge
Die Regierung der autonomen Region Kurdistan hatte das Lager im März eingerichtet, zwei Wochen später kamen die ersten Flüchtlinge. Familien wie die von Mohamad, aber auch viele junge Männer, manche von ihnen Deserteure. 6800 Flüchtlinge haben sich bereits in dem Büro des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen registrieren lassen. 60 Prozent der Flüchtlinge müssen im Camp bleiben, weil siekein Geld haben, um sich eine Wohnung zu mieten.
So wie Lukman Hezni Mohamad. Er und seine Familie haben eine Odyssee hinter sich. Sie stammen aus Daraa, der Stadt im Südwesten Syriens, in der im März letzten Jahres der Aufstand gegen Präsident Assad begann. Mohamad hatte eine kleine Imbissbude und 2000 Hühnchen. Wochenlang konnte die Familie nach dem Ausbruch der Kämpfe ihr Haus nicht verlassen. „Dann hat die syrische Armee alles in Brand geschossen, uns blieb nichts anderes übrig als zu fliehen“, erzählt er. Mit seiner Frau und fünf seiner Kinder floh Mohamad erst nach Keswe bei Damaskus, dann nach Dereke Hamko an der irakischen Grenze, um schließlich in einem sechsstündigen Fußmarsch die Grenze zu überqueren. Zwei seiner Söhne ließ Mohamad in Syrien zurück. „Sie waren in der Armee, sind aber desertiert“, sagt er. Wo sie in den Kriegswirren abgeblieben sind, weiß er nicht. Mohamad ist ein erklärter Gegner Assads, den er als „blutigen Tyrannen bezeichnet“. Und er glaubt fest an den baldigen Sturz des Despoten und daran, dass dann alles besser wird. „Wir werden dann nach Syrien zurückkehren können und in Frieden leben.“
Nicht alle der etwa drei Millionen syrischen Kurden teilen diese Zuversicht. Zwar ist ihnen Assad verhasst. Er hat die Kurden jahrelang gnadenlos unterdrückt und zuletzt 2004 einen Aufstand niedergeschlagen. Viele haben aber Angst, dass ihre Lage noch schlimmer werden könnte, wenn sich die islamistisch geprägte Opposition in dem militärischen Ringen durchsetzt.
Ein Großteil der Kurden ist deswegen völlig unschlüssig, welche Seite sie unterstützen soll. Ein Flügel der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kämpft auf der Seite Assads. Abdullah Öcalan, der mittlerweile inhaftierte Führer der Rebellenorganisation, die sich seit vielen Jahren einen Kleinkrieg mit der türkischen Regierung liefert, operierte früher von Damaskus aus. Als das türkisch-syrische Verhältnis sich um die Jahrtausendwende verbesserte, ließ Assad die PKK fallen. Jetzt, wo Ankara seinen Sturz fordert, hat sich der syrische Präsident wieder mit einem Teil der kurdisch-türkischen Rebellen verbündet.
„Die Lage wird sich verschlechtern“
Auf der anderen Seite führt mit Abdulbaset Sieda ein Kurde den Syrischen Nationalrat (SNC), das wichtigste Oppositionsbündnis. Allerdings gilt er als Islamist, weswegen er von den meisten Kurden abgelehnt wird, die traditionell eher säkular ausgerichtet sind. Und: Die syrische Opposition hat sich bislang nicht dazu geäußert, wie das Verhältnis mit der kurdischen Minderheit gestaltet werden soll. Unter einigen syrischen Kurden kursieren bereits Überlegungen, sich selbst zu bewaffnen.
So oder so: Der Flüchtlingsstrom in den Nordirak wird weiter anschwellen. Schon jetzt kommen an manchen Tagen 150 Neuankömmlinge in das Lager Domiz. „Wir gehen davon aus, dass sich die Lage verschlechtern wird“, sagt Lagerleiter Niyaz Noori Bamarny. „Wenn Assad stürzt , wird die wirtschaftliche Lage für die Kurden schlimmer. Wenn er bleibt, werden die Kämpfe weiter gehen.“ Sie legen hier bei Dohuk schon ein zweites, drittes und viertes Lager an. „Wir rechnen mit viel mehr Flüchtlingen“, sagt Bamarny.