Oslo. . Es war der Tag, der Norwegen und die Welt erschütterte: Am Sonntag ist es genau ein Jahr her, dass in Oslo eine Bombe explodierte und wenig später Dutzende Jugendliche auf der Insel Utöya von Anders Behring Breivik erschossen wurden. 77 Tote lautete die Bilanz des 22. Juli 2011. Es waren zugleich 77 Schläge gegen das norwegische Selbstverständnis einer friedlichen Gesellschaft.

Vor einem Jahr, am 22. Juli 2011, einem Freitag, tötete der Norweger Anders Behring Breivik in Oslo und auf der nahe gelegenen Insel Utöya 77 Menschen und schockte damit sein Heimatland und die Welt. Es waren zugleich 77 Schläge gegen das norwegische Selbstverständnis einer friedlichen Gesellschaft – Breivik gab als Motiv an, er habe sein Heimatland und Europa davor bewahren wollen, von Muslimen übernommen zu werden. Der Massenmord veränderte auch die Politik Norwegens.

Die offen ausländerfeindliche Fortschrittspartei (FRP), deren aktives Mitglied Breivik lange war, galt vielen in Norwegen als ideologischer Brandstifter. Sie lieferte Breivik die Grundlage für seine wirren Thesen. Die FRP musste bei den kurz auf das Massaker im Herbst 2011 folgenden Kommunalwahlen große Verluste hinnehmen. „Doch nun hat der Alltag wieder begonnen, gerade auch politisch sind die Rechtspopulisten wieder im Aufwind, als ob Utöya nie geschehen wäre“, sagt heute der Politologe Magnus Engen Marsdal von der linksorientierten Denkfabrik „Zentrum für Gesellschaftsanalyse“ in Oslo.

Ausländerfeindliche Partei im Aufwind

Tatsächlich ergeben aktuelle Umfragen zum Jahrestag von Utöya, dass die FRP inzwischen ihren auf elf Prozent eingebrochen Stimmenanteil wieder auf über 22 Prozent, und somit das Niveau von 2009 erhöhen konnte. Damit ist sie wieder zweitstärkste Kraft im Lande, noch vor den Bürgerlichen. Sollten die Sozialdemokraten die Parlamentswahlen in einem Jahr verlieren, könnte also theoretisch ausgerechnet die offen muslimfeindliche Ex-Partei Breiviks eine norwegische Rechtsregierung anführen.

Die Sozialdemokraten, deren Jugendferienlager auf Utöya Hauptziel des Terrorangriffs war und deren Ministerpräsident Jens Stoltenberg in den Tagen nach den Anschlägen viel Lob erhielt für seinen sensiblen Umgang mit den Ereignissen, beginnen in den Umfragen erstmals wieder zu fallen, bislang von 35 Prozent nach Utöya auf heute 32 Prozent. „In einem Jahr könnte die Arbeiterpartei noch deutlich mehr Sympathiestimmen verlieren“, glaubt Experte Marsdal.

Radikale Meinungen zulassen

Stoltenberg forderte damals, dass Norwegen sein offenes Gesellschaftsmodell mit einer relativ freizügigen Einwanderungspolitik oder dem weitgehenden Verzicht auf Überwachungsmechanismen nicht aufgeben dürfe. Kritiker glauben inzwischen jedoch, dass gerade diese von Stoltenberg gepredigte Veränderungslosigkeit Norwegens ein Jahr nach Utöya das große Problem sei. „Es hat sich nicht genug verändert“, sagt der Utöya-Überlebende Tore Bekkedal und verweist auf die Debatte um die Vertreibung von Roma, die sich kürzlich etwas außerhalb von Oslo niedergelassen hatten. Da hätten die Regierenden, inklusive der Sozialdemokraten, sich viel zu sehr zurückgehalten.

Björn Ihler, ein anderer Überlebender des Anschlags, meint hingegen, es sei wichtig, in Norwegen radikale Meinungen nicht länger aus der öffentlichen Debatte auszuschließen, um solche Taten zu verhindern. Anders Breivik hatte vor Gericht ausgesagt, dass er zur Waffe gegriffen habe, weil die politisch korrekte norwegische Gesellschaft seine Meinung und die anderer Radikaler ausgrenze und somit keine wirklich demokratische Gesellschaft sei.

Haft oder Psychiatrie?

Für den 24. August wird nun das Urteil gegen Anders Breivik erwartet. Wenn die Richter ihn als geisteskrank einstufen, kommt er in psychiatrische Behandlung, wohl lebenslang. Wenn er dagegen nach norwegischen Gesetzen als strafmündig eingestuft wird, kommt er hinter Gitter, wo man ihn wohl als „Gefahr für die Gesellschaft“ auch nach der eigentlichen Höchststrafe von 21 Jahren festhalten würde.

Ein Leben in Freiheit dürfte es für Brevik also wohl nicht mehr geben. „Für einen politischen Aktivisten ist das Schlimmste, was passieren kann, in einer Psychiatrie zu landen“, sagte Breivik im Prozess. „Damit würde alles entwertet, wofür man gestanden hat.“ Falls man ihn ins Gefängnis schicke, wolle er auf Berufung verzichten.

Das Grauen von Utöya

So idyllisches war es in dem Feriencamp in Utöya ...
So idyllisches war es in dem Feriencamp in Utöya ... © AP
... vor dem Amoklauf. Mindestens ...
... vor dem Amoklauf. Mindestens ... © AP
... 84 Menschen kamen bei dem ...
... 84 Menschen kamen bei dem ... © AP
... Massaker ums Leben.
... Massaker ums Leben. © AP
Der 32-jährige Anders B. hat sich offenbar als Polizist verkleidet Zutritt zu einem Jugendcamp auf der Insel Utoyea verschafft. Augenzeugen hören Schüsse. Es dauert 30 Minuten bis die Polizei eintrifft.
Der 32-jährige Anders B. hat sich offenbar als Polizist verkleidet Zutritt zu einem Jugendcamp auf der Insel Utoyea verschafft. Augenzeugen hören Schüsse. Es dauert 30 Minuten bis die Polizei eintrifft. © AFP
Die Beamten finden ein Blutbaad vor: 84 Jugendliche wurden erschossen. Hunderte versuchten übers Wasser zu fliehen ...
Die Beamten finden ein Blutbaad vor: 84 Jugendliche wurden erschossen. Hunderte versuchten übers Wasser zu fliehen ... © REUTERS
Der Mörder
Der Mörder "schoss und schoss und schoss", wie eine Zeugin berichtet. © REUTERS
Durch die Schießerei alarmiert eilen erste Schiffe aus der Nachbarschaft herbei, um zu helfen.
Durch die Schießerei alarmiert eilen erste Schiffe aus der Nachbarschaft herbei, um zu helfen. © AFP
Polizei und Rettungseinheiten suchen weiterhin nach Opfern und Verletzten auf und rund um die Insel.
Polizei und Rettungseinheiten suchen weiterhin nach Opfern und Verletzten auf und rund um die Insel. © AFP
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Opfer und Verletzte werden geborgen.
Opfer und Verletzte werden geborgen. © AFP
Opfer und Verletzte werden geborgen.
Opfer und Verletzte werden geborgen. © AFP
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Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © Scanpix
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Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
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Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
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Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © REUTERS
Retter und Gerettete - völlig schockiert
Retter und Gerettete - völlig schockiert © AFP
Der Täter: Anders Behring Breivik.
Der Täter: Anders Behring Breivik. © REUTERS
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Krank oder zurechnungsfähig?

Während der Verhandlung gab er immer wieder Einblicke in die Gedanken, die durch seinen Kopf schwirren. Bis hin zu Aussagen wie denen, dass Norwegen nicht beim Eurovision Song Contest von Ausländern vertreten werden dürfe.

Die Staatsanwälte glauben, dass Breivik geisteskrank ist. Seine Anwälte folgen der Linie ihres Mandanten und halten ihn für zurechnungsfähig. Die Tragödie ist auch ein Jahr später noch nicht ausgestanden, das wissen alle Beteiligten. Breivik quält sie weiter.