Bekommen Asylbewerber künftig den Hartz-IV-Satz als Existenzminimum?
•
Lesezeit: 4 Minuten
Essen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet am Mittwoch über die Höhe der Zahlungen für Asylbewerber. Sie wurden seit 20 Jahren nicht erhöht und liegen 40 Prozent unter den Leistungen für Hartz-IV-Bezieher.
Die Richter in den roten Roben geben der Politik keine Ruhe. Mit Spannung erwarten Bund, Länder und Gemeinden heutean diesem Mittwoch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Höhe der monatlichen Zahlungen an Asylbewerber. Viele von ihnen erhalten nur den abgesenkten Satz von 224,97 Euro – ein Betrag, der seit 20 Jahren nicht erhöht wurde und der um 40 Prozent unter den Leistungen liegt, die Hartz IV-Empfänger bekommen. Um zehn Uhr wird das Urteil verkündet.
Kläger und Klage
Gut möglich: Die Richter watschen den Gesetzgeber ab. Er hat im Gerangel zwischen Bund und Ländern seit Jahren keine Anpassung zustande gebracht. Sozialexperten, Juristen und selbst die Bundesregierung glauben, dass Karlsruhe eine deutliche Anhebung jetzt einfach anordnen könnte. Eva Steffen sagt: „Ich erwarte, dass das Gericht feststellt, dass die Grundleistungen evident unzureichend sind, um das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten.“
Flüchtlinge in Dortmund
1/47
Eva Steffen ist die Kölner Anwältin der Kläger. Ihre Mandanten kommen aus NRW – ein irakischer Flüchtling, der inzwischen seit neun Jahren in der Bundesrepublik lebt, und ein hier geborenes Kind, dessen Mutter aus Liberia stammt. Das Landessozialgericht Essen hat ihnen Rückendeckung gegeben und 2010 den Fall an Karlsruhe verwiesen. Die monatlichen Leistungen seien nicht nur „ins Blaue“ geschätzt worden, stellten die Essener Richter damals kritisch fest. Sie widersprächen auch der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Danach stellt die Zahlung an erwachsene Hartz IV-Empfänger (derzeit: 374 Euro) das Existenzminimum dar.
Die Lage der Asylbewerber
Kann ein Mensch von 224,97 Euro leben? Schon in der mündlichen Verhandlung am 20. Juni hatte sich der Vorsitzende des 1. Senats des Verfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, drastisch geäußert: „Das Motto, ein bisschen hungern, dann gehen die schon“, das könne es doch nicht sein, sagte er den Anwälten der Bundesregierung. Tatsächlich war das Asylbewerberleistungsgesetz 1992 gemacht worden, um ungebetene Zuwanderer abzuschrecken. Damals, nach Mauerfall und Balkankrise, kamen mehr als 100 000 Flüchtlinge jährlich. Heute sind es mit 40 000 klar weniger, auch wenn die Zahlen neuerdings ansteigen.
Aber Asylbewerber bleiben inzwischen viel länger in Deutschland. Zwei Drittel der insgesamt 130 000 Betroffenen lebten mehr als sechs Jahre hier, sagt die Berichterstatterin des Senats, Susanne Baer. Und das Gesetz, das die spärliche monatliche Zahlung vorsieht, gilt jetzt auch für Kriegsflüchtlinge und „geduldete Ausländer“. Ein eigenes Einkommen können sie nicht beziehen, weil für sie ein striktes Arbeitsverbot besteht.
Nicht alle Bundesländer zahlen zudem – wie NRW – in bar. Zwar werden überall die Kosten für die Unterkunft, teils in Gemeinschaftseinrichtungen, und für medizinische Hilfe übernommen. In Bayern und Baden-Württemberg aber gibt es darüber hinaus oft nur Sachleistungen: Essenspakete plus ein wenig Taschengeld. Anwältin Steffen wünscht sich deshalb von den Richtern die komplette bundesweite Abschaffung des Gesetzes. „Es darf keine Menschenwürde zweiter Klasse geben“, sagt sieWR. Fällt das Gesetz weg, würden alle Betroffenen die deutlich höheren Hartz IV-Sätze bekommen.
Die Städte zahlen
Geht das Verfassungsgericht so weit? Peter Bartow, Sozialamtschef in Dortmund, wartet ab. Es könne gut sein, dass Karlsruhe den Bundestag beauftrage, erst für die Zukunft eine neue Gesetzesgrundlage zu schaffen, sagt er – eine Atempause für die Städte. Denn es ist wie so oft: Der Bund macht die Gesetze. Die Kommunen müssen zahlen. Sie geben bundesweit 789 Millionen Euro für Asylbewerber pro Jahr aus. Klamme Städte sind dabei. Duisburg gibt fünf Millionen Euro, Dortmund rund sechs Millionen. Und Bartow widerspricht dem Eindruck, alle Asylbewerber würden knapp gehalten. Von den 700 in Dortmund erhielten nur 150 die abgesenkte Leistung, weil sie, nach weniger als vier Jahren in Deutschland, noch in Übergangseinrichtungen lebten. Die Leistung für alle anderen liege doch schon auf Hartz-Höhe, sagt er.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.