Essen. . Mit Prämien und Zuschüssen wollen Unternehmen junge Eltern möglichst schnell wieder zur Arbeit locken. Die Zahl der Betriebskitas stieg von 2008 bis März 2011 um 35 Prozent von 369 auf 498, und Siemens zahlt sogar Bargeld.

Während die Bundesregierung über das Betreuungsgeld für Eltern streitet, die ihre Kinder zu Hause betreuen, investiert die Wirtschaft viel Geld, um das Gegenteil zu erreichen. Konzerne bauen Betriebskindergärten und zahlen Zuschüsse zu Kita-Gebühren. Siemens lockt sogar mit Bargeld, damit junge Eltern möglichst früh wieder arbeiten kommen.

Seit 2011 zahlt der Technologiekonzern für jedes Kind bis zur Einschulung einen „Betreuungszuschuss“ von 100 Euro, sobald die Mutter oder der Vater ihre Arbeit wieder aufnehmen. Laut Siemens haben davon 2011 bereits 6000 Mitarbeiter Gebrauch gemacht.

Neu ist ein weiterer Zuschuss von bis zu 500 Euro für junge Mütter und Väter, die ihre Elternzeit nicht ausschöpfen. Bis zum 14. Lebensmonat des Kindes erhalten Eltern, die in Teilzeit wieder einsteigen, damit insgesamt bis zu 600 Euro.

Zahl der Betriebskitas steigt

„Die meisten jungen Mütter fangen in Teilzeit wieder an. Weil dieser Lohn zum Großteil durch die Betreuungskosten aufgezehrt würde, helfen wir ihnen“, sagte ein Siemens-Sprecher. Der Konzern will auch seine 900 eigenen Kitaplätze bis 2015 durch weitere Betriebskindergärten auf 2000 ausbauen. „Siemens hat die Zeichen der Zeit erkannt“, so NRW-Familienministerin Ute Schäfer.

Siemens steht nicht allein: Die Zahl der Betriebskitas stieg von 2008 bis März 2011 um 35 Prozent von 369 auf 498, allein in NRW kamen 24 hinzu. Auch im Ruhrgebiet: RWE eröffnete sein „Lumiland“ vor einem Jahr und plant weitere. Siemens plant neue Kitas in Essen, Düsseldorf und Köln. Thyssen-Krupp Stahl setzte gestern den Spatenstich für seine eigene Kita im Duisburger Norden.

Wirtschaft gegen Politik

In Sachen Kinderbetreuung ziehen Politik und Wirtschaft an einem Strang – nur jeder am anderen Ende. In Berlin versucht die CSU, Geld locker zu machen für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen. Unternehmen versuchen dagegen, frisch gebackene Eltern möglichst schnell zurück an die Arbeit zu bekommen.

Es ist kein Zufall, dass der Technologiekonzern Siemens mit 900 betriebseigenen Kitaplätzen eine Vorreiterrolle einnimmt und nun sogar mit Geldprämien zur Rückkehr an den Arbeitsplatz animiert. Denn Siemens sucht händeringend Ingenieure und kann es sich deshalb noch weniger als andere Konzerne erlauben, dass junge Mütter und Väter jahrelang ausfallen oder gar nicht mehr in den Beruf zurückkehren.

Anreize, schnell in den Job zurückzukehren 

„Der Betreuungszuschuss und unsere eigenen Kitaplätze sind einerseits ein Argument im Werben um neue Fachkräfte und andererseits ein Anreiz für unsere jetzigen Mitarbeiter, nach einer Baybpause schnell zurückzukehren“, sagt Georg Lohmann, Siemens-Sprecher in NRW. Siemens hat vor einem halben Jahr in Mülheim den Betriebskindergarten „Energiezwerge“ und erst in diesem Monat eine neue Kita-Gruppe in Duisburg eröffnet.

Auch Thyssen-Krupp und RWE planen neue eigene Kitas. Im „Lumiland“ des Essener Energieriesen werden Kinder bereits ab dem vierten Monat betreut – im Gegensatz zu den meisten städtischen und kirchlichen Einrichtungen bis 18 Uhr. „Materielle Anreize in Form von Prämien bieten wir nicht“, sagte eine RWE-Sprecherin zur Praxis bei Siemens. Auch Eon sieht von „direkten Geldzahlungen“ ab, vermittelt aber Plätze in privaten Kitas und übernimmt die Mehrkosten hierfür.

Babypause bringt Karriereknick

Für Eon sind solche Hilfen nötig, um langfristig mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Bisher würden viele während der Babypause „vom Radarschirm“ verschwinden. „In dieser Phase nehmen männliche Konkurrenten die nächste Stufe ein, und der Karriereweg der Rückkehrerinnen ist begrenzt oder gar versperrt“, sagte ein Eon-Sprecher dieser Zeitung.

Der Trend zu Betriebskindergärten ist freilich noch jung und meist Großkonzernen vorbehalten. Die Hälfte der aktuell 108 Einrichtungen in NRW ist erst in den vergangenen drei Jahren gebaut worden. Auch sind die bundesweit 21.000 betrieblichen Kita-Plätze wenig im Vergleich zu den fehlenden 100.000 Kleinkind-Plätzen.

„Berlin setzt falsche Anreize“

„Das Engagement der Betriebe darf kein Grund für die öffentliche Hand sein, beim Ausbau der Kinderbetreuung nachzulassen“, mahnt deshalb der Arbeitgeberverband BDA.

DIHK-Präsident Heinrich Driftmann sieht die Anstrengungen der Wirtschaft durch die Regierung gar sabotiert: Das Betreuungsgeld fördere noch, dass Frauen zu Hause bleiben statt ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Das sieht auch NRW-Familienministerin Ute Schäfer so: „Nur die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichert Fachkräfte. Allein in Berlin setzt die Regierung mit dem Betreuungsgeld einen völlig falschen familienpolitischen Akzent.“