Düsseldorf. . Rot-Grün verständigt sich nach einer Marathon-Sitzung auf einen 195-seitigen Koalitionsvertrag. Danach erhalten klamme Kommunen ab 2014 rund 660 Millionen Euro statt bisher 465 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen. Gebührenfreiheit für ein weiteres Kita-Jahr kommt nur, wenn die Haushaltslage es zulässt.
Nach Abschluss der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in NRW hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) die Bürger auf einschneidende Sparmaßnahmen eingestimmt. Bis 2017 werde die künftige Landesregierung im Haushalt strukturell eine Milliarde Euro einsparen. Bisherige Förderprogramme in Höhe von 300 Millionen Euro würden auf Darlehen umgestellt, Verwaltungsstandorte müssten geschlossen oder zusammengelegt werden, so Kraft. Eine Kiesabgabe und höhere Gebühren im Justizbereich sollen zudem mehr Geld in die Landeskasse spülen. 500 Lehrerstellen an Berufskollegs sollen nach Wegfall von „Warteschleifen“-Maßnahmen gestrichen werden. „Es gibt fast nichts zu verteilen“, sagte Kraft. In den kommenden Jahren müsse „strenge Haushaltsdisziplin“ herrschen.
Mit zusätzlichem Landesgeld können dagegen finanziell angeschlagene Kommunen rechnen. Der „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ werde von bislang 465 Millionen auf 660 Millionen Euro aufgestockt, kündigte Kraft an. SPD und Grüne wollen zudem einen Nichtraucherschutz ohne Ausnahmen in Gaststätten sowie die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage einschränken. Schulabgänger sollen künftig mit einer „Ausbildungsgarantie“ bedacht werden.
CDU-Fraktionschef Laumann nennt Sparziele von Rot-Grün „einen Witz“
CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann nannte die Sparziele von Rot-Grün angesichts eines strukturellen Defizits im Landeshaushalt von fünf Milliarden Euro „einen Witz“. FDP-Fraktionschef Christian Lindner sprach von einem „Dokument der Enttäuschung“ und nannte das geplante neue Wirtschaftsministerium eine „politische Resterampe“.
Auch interessant
Die wichtigsten Ergebnisse aus dem 195-seitigen Koalitionsvertrag, der die neue NRW-Landesregierung bis 2017 leiten soll:
- Wirtschaft
Der Ladenschluss wird neu geregelt: Von montags bis freitags können die Geschäfte rund um die Uhr öffnen, samstags ist künftig um 22 Uhr Schluss. Aber es gibt Ausnahmen bei Aktionen wie „Late-Night-Shopping“. Verkaufsoffene Sonntage werden stärker begrenzt.
Die NRW-Wohnungsbauförderung soll nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien neu ausgerichtet werden, bleibt aber im Volumen von 850 Millionen Euro unangetastet. Ein landesweit „qualifizierter Mietspiegel“ soll Vermieter anhalten, gerade günstige Wohnungen für Hartz IV-Empfänger instand zu halten.
- Energie
Die Landesregierung will, dass bis 2025 mehr als 30 Prozent des NRW-Stroms aus erneuerbaren Energien stammt. Allein der Anteil an Windenergie soll bis 2020 durch neue und größere Windräder auf 15 Prozent wachsen.
Rot-Grün bekennt sich dennoch zu fossilen Kraftwerken wie Kohle und Gas. Ein neuer Landesentwicklungsplan muss dabei klären, ob und wo neue Kohlekraftwerke gebaut werden könnten. Im Braunkohlerevier will Rot-Grün den Konzern RWE Power zwingen, Altanlagen abzuschalten.
Streitfall „Datteln“: Im Fall des stockenden Weiterbaus des Eon-Steinkohlekraftwerks beschränkt sich die Landesregierung auf „eine Rechtsprüfung“. Das heißt: Werden die planungsrechtlichen Voraussetzungen nachgebessert, behindert Rot-Grün Datteln nicht.
- Umwelt
Rot-Grün hält an der umstrittenen Dichtheitsprüfung für private Abwasserkanäle fest. Für Siedlungsgebiete mit Ein- und Zweifamilienhäusern wird jedoch eine Prüffrist nur alle 20 bis 30 Jahre erwogen.
Bis 2013 wird die Landesregierung in einem Klimaschutzplan festlegen, wie der CO2-Ausstoß in NRW bis 2020 um 25 Prozent (gegenüber 1990) reduziert werden soll.
Rot-Grün senkt die Hürden für Volksbegehren
- Finanzen
Rot-Grün will eine eigene Schuldenbremse in der Landesverfassung verankern. Bedingung: nicht auf Kosten der Kommunen. Strukturelle Einsparungen von einer Milliarde Euro bis 2017 werden Vereine und Verbände treffen. So sollen Förderprogramme mit einem Volumen von 300 Millionen Euro nur noch als Darlehen fließen. Bürger müssen sich auf höhere Gebühren einstellen, etwa im Justizbereich. Weitere Vorschläge prüft ein „Effizienzteam“.#
- Bildung
Inklusion wird zentrales Thema in allen Lebensbereichen bis 2020. Der Rechtsanspruch behinderter Kinder auf den Besuch einer allgemeinen Schule soll möglichst schnell umgesetzt werden. Vorbild sind die Kitas mit einem Inklusionsanteil von 80 Prozent. Neben dem bereits gebührenfreien dritten Kitajahr wird ein weiteres Jahr nur gebührenfrei, wenn die Haushaltslage es zulässt. Um den Rechtsanspruch auf Betreuung unter Dreijähriger annähernd erfüllen zu können, erhalten Kommunen einen Lastenausgleich.
An Grund-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien sind schrittweise kleinere Klassen geplant. „Überflüssige“ Lehrerstellen durch rückläufige Schülerzahlen bleiben im System Schule, um das Lehrniveau zu steigern. Beim Übergang Schule-Beruf sollen Warteschleifen abgebaut werden, dabei helfen „Berufseinstiegsbegleiter“. Als Folge werden bis 2020 an Berufskollegs 500 Lehrerstellen abgebaut.
- Innen/Kommunen
Klamme Kommunen erhalten ab 2014 rund 660 statt bisher 465 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen. Im Jahr 2020 werden Räte und (Ober-) Bürgermeister wieder gleichzeitig gewählt.
Rot-Grün senkt die Hürden für Volksbegehren. 16-Jährige sollen bei Landtagswahlen mitwählen dürfen. Vom Tisch ist die Forderung der Grünen, 2000 Stellen bei der Polizei zu kappen. Weiter sollen jährlich 1400 Polizei-Anwärter eingestellt werden.
- Ministerien
Das Mammut-Ressort von Minister Harry Voigtsberger (SPD) wird geteilt. Neben dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie und Mittelstand entsteht ein neues Haus für Bauen, Wohnen, Städtebau und Verkehr, das wohl Voigtsberger übernimmt. Sein bisheriger Parlamentarischer Staatssekretär Horst Becker (Grüne) wechselt zu Umweltminister Johannes Remmel (Grüne), er ist dort zuständig für den „ländlichen Raum“. Remmel behält den Bereich der Erneuerbaren Energien, die Zuständigkeit für die Energiewende reklamiert jedoch Ministerpräsidentin Kraft für sich als „Chefinnen-Sache“.