Essen.. Der Streit um das Kohlekraftwerk Datteln bringt die Bezirksregierung Münster an ihre personellen Grenzen. Das Umweltrecht und Urteile binden immer mehr Mitarbeiter in den Behörden. Am Dienstag wird ein weiteres Urteil zur stillgelegten Baustelle in Datteln erwartet.
Für Eon und das Kohlekraftwerk in Datteln brechen entscheidende Wochen an. In Düsseldorf ringen SPD und Grüne aktuell darum, wie sie es denn nun halten wollen mit der Kohle und dem gestoppten Milliarden-Bau. In Münster wiederum wird morgen vor dem Oberverwaltungsgericht NRW eine weitere Klage von Naturschützern verhandelt.
Der Fall Datteln aber ist weit mehr als eine Posse aus der Energiewirtschaft. Er gilt als Paradebeispiel dafür, wie die Genehmigungsbehörden in Deutschland mehr und mehr von den Tücken des Umweltrechts überfordert werden.
Für die Bezirksregierung Münster mit ihren 1250 Mitarbeitern etwa ist der Ausnahmezustand zum Normalfall geworden. Seit die Richter des Oberverwaltungsgerichts im März 2011 den Bebauungsplan des Eon-Kraftwerks für null und nichtig erklärten, versucht die Genehmigungsbehörde zu retten, was zu retten ist. Und manchmal sitzt sie zwischen den Stühlen.
Volle Arbeitszeitkonten
Einerseits fürchtet die Bezirksregierung Schadenersatzklagen von Eon, schöpft sie nicht alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten aus, damit das Kraftwerk doch noch ans Netz gehen kann. Andererseits wird die Behörde deswegen von klagenden Anwohnern und Umweltverbänden als „Erfüllungsgehilfe Eons“ beschimpft.
Personell aber hat der Fall Datteln die Behörde längst an ihre Grenzen gebracht. Technische Gutachten, juristische Bewertungen, hitzige Diskussionen beim Bürger-Dialog – die Arbeitszeitkonten der Behördenmitarbeiter sind voll. „Die Folgen des Dattelner Urteils bestimmen zu weiten Teilen den Arbeitstag vieler Kollegen“, sagt Dorothee Feller, stellvertretende Regierungspräsidentin.
An vorderster Front: Abteilung 5, Umwelt. Für zwei Dezernate der Behörde – Immissionsschutz und Naturschutz – ist der Streit um das Eon-Projekt zum Vollzeit-Job geworden. „Wenn es hart auf hart kommt, bleibt für andere Themen kaum noch Zeit“, sagt der Jurist Arnd Sahrhage. Für ihn wurde zur Erkenntnis: Das deutsche Umweltrecht ändert sich manchmal schneller als Behörden es ahnen.
Planungsvorhaben wackeln
Im Januar 2007 genehmigte die Münsteraner Behörde den immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für das geplante Eon-Kraftwerk, eine Art technische Unbedenklichkeitsbescheinigung. Nur wenige Tage später schrieb das Bundesverwaltungsgericht im Fall der West-Umfahrung von Halle erstmals den besonderen Schutz wertvoller Naturgebiete (FFH-Gebiete) fest. Seit diesem Urteil wackeln viele Planungsvorhaben in Deutschland, darunter auch Datteln. Und während das Eon-Kraftwerk in die Höhe wuchs, folgten weitere Urteile – eines stärkte die Klagerechte von Naturschützern, andere bewerteten den Erhalt bedrohter Tier- und Pflanzenarten oder die Umweltverträglichkeit von Kohlekraftwerken, wie kürzlich am Fall von Trianel in Lünen.
Im Zuge der Energiewende müssen Hunderte Kilometer Stromtrassen gebaut werden, wollen Gasfirmen unterirdisch nach Erdgas-Vorräten bohren, sollen Bürger an industriellen Großprojekten mehr beteiligt werden. In den Amtsstuben ahnt man es: Das gibt Arbeit.