Düsseldorf. . Der Erfolg bei der Landtagswahl hat aus manchen NRW-Piraten gut bezahlte Landtagsabgeordnete gemacht. Bei Fraktionssitzungen kann jeder erleben, wer die Piraten-Abgeordneten sind: Überdurchschnittlich gebildete Menschen, für die Transparenz Ehrensache ist. Systemgegner finden sich dagegen keine.
Die Fraktionssitzung läuft seit mehr als sieben Stunden. Es ist die dritte in dieser Woche. Die 20 Landtagsabgeordneten der Piratenpartei ringen mit Tagesordnungspunkt neun und stimmen gerade darüber ab, ob sie abstimmen sollen. Eine mögliche Extra-Bezahlung für den noch zu wählenden Fraktionschef ist das Thema, es geht also um Privilegien. Der Konflikt ist genau dort angesiedelt, wo man die Piraten zwei Wochen nach dem Sensationserfolg bei der NRW-Wahl abpassen möchte: im Spannungsfeld von Ankommen im Parlamentsbetrieb und dem Bedürfnis nach Anderssein.
„Raum E1 A17“, sagt der Landtagspförtner und muss schmunzeln. Es ist Freitagabend vor Pfingsten, das Abgeordnetenhaus wirkt ausgestorben. Nur die Piraten tagen unverdrossen. Die Fraktionssitzung ist öffentlich, aber auf den Besucherplätzen liegen nur leere Laptoptaschen. Der Landesvorsitzende Michele Marsching hat eine Videokamera auf einen drehbaren Bürostuhl geklemmt und lässt sie hin und wieder routiniert kreisen. Ein Livestream im Internet ist Ehrensache. Transparenz fragt nicht nach Publikumsinteresse.
Ein Pirat mit Sekretariat, Dienstwagen und Chauffeur
„Wir können noch lange diskutieren, wir haben noch ganz viel Zeit“, sagt der Abgeordnete Daniel Düngel, als Wortmeldungen und Zwischenabstimmungen zur möglichen Geldzulage für den Fraktionschef nicht enden wollen. Man weiß nicht, ob es ironisch gemeint ist. Düngel selbst wird ab kommenden Monat zusätzlich zu seinen Diäten von mehr als 10.700 Euro einen 25-Prozent-Aufschlag plus Sekretariat, Dienstwagen und Chauffeur erhalten. Er ist als Landtagsvizepräsident nominiert. Das Parlamentsreglement gesteht jeder Fraktion einen solchen Repräsentationsjob zu, inklusive Privilegien.
„Ich kann mir nicht vorstellen, mich morgens zuhause in Oberhausen abholen und zum Landtag bringen zu lassen“, sagt Düngel. Ansonsten wirkt der 36-jährige Versicherungskaufmann aus dem Revier nicht wie einer, der sich unter Rechtfertigungsdruck sieht. An der Parteibasis gebe es keinen Aufruhr darüber, dass ein Pirat künftig gut bezahlt dem Landtag vorsteht, versichert Düngel. Und wenn er demnächst hintereinander einen Termin „in Köln und in Bielefeld“ wahrnehmen müsse, könne er sich die Nutzung der Dienstlimousine sogar vorstellen.
Es ist ein gängiges Missverständnis, dass diese Piraten Systemgegner wären. „Wir sind freiheitsliebend, selbstbestimmt, fragen nach und denken selbst“, steht auf den weißen Stimmkarten, die sie fast minütlich in die Luft recken. Die NRW-Fraktion besteht aus Lehrern, Juristen, IT-Spezialisten, Polizisten, Feuerwehrleuten. Überdurchschnittlich gebildet sind alle, die meisten rhetorisch beschlagen. Manche tragen T-Shirt und kurze Hose, manche lange Haare oder Cowboyhut, andere Oberhemd.
Machttrieb, Neid und Eitelkeit fehlen - bisher
Während ihrer Sitzung hat man viel Zeit darüber nachzudenken, was diese Ansammlung debattierfreudiger Polit-Azubis wohl so attraktiv macht für die Wähler. Erster Antwortversuch: Es gibt bei dieser Partei kein Innen und kein Außen, kein Oben und kein Unten. Jeder sagt, was er denkt, alles ist öffentlich. Es gibt keine Sprachregelungen, keinen Fraktionszwang, keine vorgegebene Linie.
Ob dieses Ausdiskutieren in Permanenz wirklich Schritt halten kann mit der Geschwindigkeit eines Landesparlaments und ob sich menschliche Politikereigenschaften wie Machttrieb, Neid und Eitelkeit dauerhaft draußen halten lassen, steht auf einem anderen Blatt.
Als die Debatte über die Sonderbezahlung des Fraktionschefs sehr heftig wogt, dreht sich ein Abgeordneter zum Reporter um und flüstert glucksend: „Da sind Sie ja genau im richtigen Moment hier.“