Düsseldorf. . NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) drückt bei der Energiewende aufs Tempo. „Ich mache mir große Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit unserer energieintensiven Industrie“, sagte Kraft im Interview mit der WAZ-Mediengruppe.

Den Turbo-Wahlkampf in den Knochen, die Koalitionsverhandlungen im Blick, hatte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) einen wichtigen Termin bei der Kanzlerin. Thema: Die schleppende Energiewende. Im ersten Zeitungsinterview nach der gewonnenen Landtagswahl stellte Kraft sich den Fragen von Theo Schumacher und Tobias Blasius.

Sie kommen gerade vom Energiegipfel im Kanzleramt. Wird jetzt alles gut?

Hannelore Kraft: Noch lange nicht. Es fehlt weiterhin ein Masterplan, der Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Zeitpläne für die Energiewende festlegt. Wir benötigen eine genaue Steuerung zwischen Bund, Ländern, Behörden, Industrie und anderen Partnern, um diese gewaltige Aufgabe zu meistern. Ein Scheitern der Energiewende wäre verheerend für den Wirtschaftsstandort.

Was ist die wichtigste Herausforderung für NRW?

Kraft: Ich mache mir große Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit unserer energieintensiven Industrie. Aluminium, Stahl, Zement, Chemie - für viele Branchen ist der Strompreis ein zentraler Kostenfaktor im Vergleich mit europäischen und erst recht mit internationalen Konkurrenten. Deshalb ist es wichtig, dass energieintensive Betriebe bei den Strompreisen verlässlich planen können. Da ist kaum noch Spielraum.

Was fordern Sie?

Kraft: Die Bundesregierung muss bei der EU-Kommission durchsetzen, dass Beihilfen für billigeren Industriestrom über die jetzt nur zugesagten zwei Jahre hinaus gewährt werden können. Sonst wird kaum ein Unternehmen in neue Anlagen oder Geschäftszweige investieren. Die Folge wäre ein schleichender Abbau von Arbeitsplätzen in NRW.

Bei den Kraftwerken lauern ebenfalls Risiken.

Kraft: Allein in NRW sind neun moderne fossile Kraftwerke mit einer Gesamtinvestition von über sechs Milliarden Euro in Bau oder Planung. Sie werden an sonnenreichen oder windigen Tagen, wenn vorrangig erneuerbare Energien ins Netz gespeist werden, ihren Strom aber nicht abgeben können. Es muss daher Anreize geben, moderne Kraftwerke zu bauen.

Welche Anreize?

Kraft: Der Bund muss die Voraussetzungen schaffen für sogenannte „Kapazitätsmärkte“: Damit würde nicht nur die gelieferte Energie vergütet, sondern auch die Kapazität, Strom herzustellen, selbst wenn dieser zeitweilig nicht abgerufen wird. Das wäre quasi eine Prämie für die Sicherheit, immer ausreichend Strom zu haben. Kapazitätsmärkte bieten den Unternehmen Planungssicherheit. Wer soll sonst Milliarden in neue Kraftwerke stecken?

Der Ausbau neuer Stromtrassen kommt nicht voran. Nur zehn Prozent sind fertig. Wie kann das Land den Planungsstau auflösen?

Kraft: Wir tun als Land, was wir können. Bundesweit liegt Nordrhein-Westfalen beim Zeitplan des Netzausbaus an dritter Stelle.

Die SPD bekennt sich klar zur Kohleverstromung. Droht Streit mit den Grünen?

Kraft: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Konflikte bei den Koalitionsgesprächen gibt. Klar ist doch: Eine Energiewende ohne Kohle, Gas und Atom wird nicht gelingen.

Verträgt sich der Ausbau fossiler Energieträger mit dem ehrgeizigen Klimaschutzziel, in NRW 25 Prozent CO2 bis 2020 einzusparen?

Kraft: Es würde dem Klima gar nichts helfen, Strom aus polnischen Kohlekraftwerken zu beziehen, um die Grundlast abzusichern. Um zu konkretisieren, wie wir die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wollen, die ja auch der Bund hat, werden wir gemeinsam mit allen Beteiligten ein Klimaschutzgesetz und einen entsprechenden Plan verabschieden. Dazu gehört auch die Senkung der CO2-Emissionen beim Verkehr, Industrie oder die Energieeinsparung bei Gebäuden. Hilfreich wäre auch ein Klimaschutzgesetz auf Bundesebene. Das gibt es leider nicht.

Braunkohle ist in NRW größter Klimaschädling und wichtigster Stromlieferant für die Industrie. Wie lange brauchen wir sie noch?

Kraft: Der Braunkohle-Abbau ist noch für die nächsten Jahrzehnte genehmigt. Wir werden auch weiter fossile Kraftwerke als Brückentechnologie benötigen. Ob sie tatsächlich gebaut werden, ist immer eine betriebswirtschaftliche Entscheidung.

Kraft will Datteln nicht im Weg stehen 

Haben Sie noch Hoffnung, dass das hochmoderne Eon-Kraftwerk Datteln ans Netz geht?

Kraft: Die Planung liegt jetzt wieder beim Regionalverband Ruhr. Ich gehe aber davon aus, dass am Ende erneut die Gerichte entscheiden werden.

Als SPD-Landeschefin müssten Sie doch sagen: Wir wollen dieses Kraftwerk.

Kraft: Wir behindern es nicht. Generell gilt, dass wir Energieland Nummer eins bleiben wollen. Dabei setzen wir natürlich auf Erneuerbare, wie unser Windkrafterlass zeigt. Aber wir sind und bleiben auch Kraftwerksstandort. Bis 2020 sollen 15 Prozent Windenergie erzeugt werden.

Um für industrielle Großprojekte zu werben, hatten Sie eine Akzeptanz-Offensive angekündigt. Wann kommt sie endlich?

Kraft: Sie ist in Arbeit und kommt, sobald die neue Landesregierung steht. Die SPD ist bei der Wahl auch deshalb gestärkt worden, weil sie sehr offensiv dafür steht, dass NRW Industriestandort bleibt. Ich begreife das als Auftrag.

Braucht NRW einen eigenen Energieminister, ein Gesicht für die Energiewende?

Kraft: Energiepolitik ist bei uns Chefsache. Es gibt immer verteilte Kompetenzen und Zuständigkeiten in den Ressorts. Wichtig ist, dass alles an zentraler Stelle gebündelt wird.

Das heißt, das jetzige Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr bleibt, wie es ist?

Kraft: Über Ressorts wird immer erst am Ende von Koalitionsverhandlungen entschieden. An dieser guten Tradition halten wir fest.