Essen. Für die Spitzenkandidaten bei der NRW-Wahl sollte es eine weitere Chance sein, Wählern ihre Positionen zu erläutern. CDU-Mann Norbert Röttgen verhaspelte sich in der Mitmach-Sendung „log in“ auf ZDF-Info: Er fand es “bedauerlich“, dass die Wähler über seine Zukunft entscheiden - und erklärte das mit Ironie.
Was Sie schon immer von Ihren Politikern wissen wollten, aber am Wahlkampfstand nicht zu fragen wagten: NRZ-Leser und DerWesten-User hatten bei der vierstündigen ZDFinfo-Sendung „log in“ die Chance, den Spitzenkandidaten der sechs großen Parteien auf den Zahn zu fühlen: Sylvia Lörhmann (Grüne), Joachim Paul (Piraten), Hannelore Kraft (SPD), Katharina Schwabedissen (Linke), Christian Lindner (FDP) und Norbert Röttgen (CDU).
Aus einer Fülle von Zuschriften per E-Mail, über Facebook und Twitter suchte das ZDF die Fragen heraus: Wie halten es die Parteien mit der Neuverschuldung? Welche Risiken birgt die Energiewende für den Industriestandort NRW? Und was machen die Kandidaten eigentlich, wenn sie verlieren?
Peinlicher Ausrutscher
CDU-Kandidat Norbert Röttgen leistete sich dabei einen für ihn peinlichen Ausrutscher. Auf die Frage, ob er im Falle einer Wahlniederlage als Landesvorsitzender in NRW bleiben würde, sagte Röttgen: „Ich müsste dann eigentlich Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.“ Später erklärte Röttgen, seine Aussage sei ironisch gemeint und er ziehe sie zurück.
Generell steht fest: Die Leserfragen brachten die sechs Kandidaten zum Nachdenken, zum Schmunzeln und teilweise auch ins Schwitzen. Die Antworten stellte Tobias Blasius, Landeskorrespondent der WAZ-Mediengruppe, als „Faktenchecker“ während der Sendung auf den Prüfstein.
Warum bekommt es NRW nicht hin, in Zeiten steigender Einnahmen einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen?
Hannelore Kraft (SPD): Für einen ausgeglichenen Haushalt werden wir Zeit brauchen. Hinter neuen Schulden stehen steigende Ausgaben, die wir nicht beeinflussen können - Pensionsansprüche und Tarifabschlüsse etwa. Steuermehreinnahmen haben wir in den Schuldenabbau gesteckt. Die Geschenke an Hoteliers und Erben von der schwarz-gelben Bundesregierung kosten NRW Hunderte Millionen Euro Einnahmen im Jahr.
Sylvia Löhrmann (Grüne): Die Schuldenbremse steht in der Verfassung, und ab 2020 müssen wir sie einhalten. Wir müssen sparen, aber nicht mit dem Rasenmäher. Gleichzeitig müssen wir in die Zukunft investieren, in Bildung und in die Kommunen, die wir entschulden müssen. Um die Einnahmesituation zu stärken, müssen wir die starken Schultern stärker belasten.
Norbert Röttgen (CDU): Ein ausgeglichener Haushalt ist möglich. Meine Überzeugung ist: Wir sind nicht durch zu viel Sparsamkeit in die Krise geraten, sondern durch eine zu hohe Staatsverschuldung. Wie wir in NRW konkret sparen können: Wir haben 440 000 Landesbeschäftigte. 7000 von ihnen bräuchten wir nicht.
Christian Lindner (FDP): Wir haben gesagt, dass wir lieber in eine neue Wahl gehen, als einen Schuldenhaushalt mitzutragen. Erfreulicherweise haben wir eine wachsende Wirtschaft. Wir müssten das Geld, das der Staat jetzt mehr einnimmt, für den Schuldendienst reservieren. Und wir müssten mit teuren Versprechungen im Wahlkampf aufhören. Deshalb hört man von uns auch nichts mehr von Steuersenkungen.
Katharina Schwabedissen (Linke): In NRW wird momentan nicht gespart, sondern gekürzt: in sozialen Projekten, an der Bildung, in den Kommunen. Die Linke will eine Umverteilung bzw. eine Rückverteilung. Die Reichen haben in den letzten Jahren dazuverdient. Jetzt sollen sie bezahlen. Mit unserem Steuerkonzept würde NRW 27,5 Milliarden Euro mehr bekommen.
Könnte NRW nicht am Aufbau Ost sparen?
Löhrmann: Der Solidarpakt ist bis 2019 durch ein Bundesgesetz gebunden. Wir müssen uns aber trotzdem anschauen, was mit den Städten im Westen ist. Das Prinzip sollte sein, dass Geld nach Bedürftigkeit nicht nach Himmelsrichtung verteilt wird.
Kraft: Nicht überall im Osten sieht es aus wie in Dresden oder Erfurt. Dort wird noch Geld gebraucht. Die Frage ist: Was ist mit dem Soli, den wir alle bezahlen? Der geht erst mal in den Bundeshaushalt. Es müsste dahinwandern, wo Bedürftigkeit herrscht.
Röttgen: Die Landesregierung muss das Geld, das sie vom Bund bekommt, auch an die Kommunen weiterreichen, die die Aufgaben fürs Land übernehmen. Das wird parteiübergreifend in vielen Fällen nicht gemacht.
Was wollen Sie unternehmen, um Städte und Gemeinden zu entlasten, damit sie neue Kitaplätze und bessere Infrastruktur schaffen können?
Kraft: Die kommunale Finanzsituation macht uns große Sorgen. Wir haben einen Stärkungspakt Stadtfinanzen aufgelegt, um besonders belasteten Kommunen zu helfen. Mit 300 Millionen Euro werden Gemeinden unter Nothaushalt unterstützt, um sie wieder handlungsfähig zu machen. Wir brauchen an der Stelle auch den Bund. Die Kommunen ächzen unter den sozialen Kosten.
Wie soll der günstige Strom aus Atomenergie ersetzt werden und wie wollen Sie zusätzliche Kosten für die Haushalte verhindern?
Löhrmann: Wind und Sonne schreiben keine Rechnung, das heißt: Wir müssen die natürlichen Ressourcen nutzen, müssen kleine dezentrale Kraftwerksanlagen bauen. Das lohnt sich auf Dauer und ist umweltgerechter. Das schafft auch den Wettbewerb und nimmt den großen Stromkonzernen die Macht.
Joachim Paul (Piraten): Wir sind grundsätzlich für den Ausbau regenerativer Energien. An der Stelle werden Sie bei den Piraten orangegefärbte Grüne treffen. Wir sind auch für dezentrale Energienetzwerke.
Röttgen: Wir haben einen konkreten Plan für den Ausstieg. Ersetzt werden muss der Atomstrom durch erneuerbare Energien und durch Energieeffizienz. Ohne Energiesparen kommen wir nicht weiter.
Lindner: Verlässliche und bezahlbare Energieversorgung ist das wichtigste Thema bei uns in NRW. 40 Prozent des Industriestroms in Deutschland werden hier verbraucht. Man kann nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen, deswegen müssen wir den Kraftwerkspark erneuern.
Haben die Piraten in ihren Reihen das Wissen und die Leute, um so wichtige Themen wie die Energiewende und die Staatsfinanzen anzugehen?
Paul: Die Piraten wollen das Expertenwissen der Bevölkerung und die Experten in der Politik zusammenbringen. Wir stellen uns folgende Frage: Kann man die Werkzeuge der Zusammenarbeit von vielen Menschen, die im Internet funktionieren, nicht auf das politische Geschäft übertragen?
Warum wollte die FDP die Schlecker-Mitarbeiterinnen nicht unterstützen?
Lindner: Wir waren gegen eine staatliche Transfergesellschaft für die Mitarbeiterinnen. Die wäre mit Steuergeldern eingerichtet worden, gleichzeitig hätten sie alle Abfindungsansprüche aus der Insolvenzmasse von Schlecker verloren. Die 11 000 wären in Pseudo-Qualifikationsmaßnahmen geparkt worden. Nun kümmert sich die Bundesagentur für Arbeit um sie.
Warum werden in NRW neue Kohlekraftwerke gebaut?
Kraft: Wir können nicht gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohle aussteigen. Energie muss aber auch finanzierbar bleiben für die Haushalte. Wir müssen alte Schätzchen durch neue Kraftwerke ersetzen.
Löhrmann: Es ist doch nicht effizient, dass in alten Kraftwerken 50 Prozent der erzeugten Energie in die Luft gepustet werden. Neuere Kraftwerke haben 90 Prozent Wirkungsgrad, das ist deutlich besser.
Röttgen: Wenn wir aus der Atomenergie aussteigen, können wir nicht noch einen Energieträger herausnehmen. Mit Braunkohle ist die Stromproduktion am günstigsten. Wir brauchen die Kohle, um die Preise stabil zu halten.
Was will die Linke mit einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten erreichen?
Schwabedissen: Es gibt immer wieder Angriffe von Polizisten auf Demonstranten. Bisher können die Beamten nicht verfolgt werden. Wir wollen, dass sie zur Verantwortung gezogen werden können.
Was wollen Sie im Bereich Bildung erreichen?
Löhrmann: Wir wollen nicht, dass der schulische Aufstieg von Kindern vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Ich persönlich hätte es mir nicht leisten können, zu studieren, wenn es Studiengebühren zu meiner Zeit gegeben hätte.
Röttgen: Eltern und Familien haben sich darauf eingestellt, dass es keine Studiengebühren und keine Kitagebühren im letzten Jahr gibt. Wir wollen da einen Wechsel, aber nicht auf Kosten der Menschen, die auf die Politik vertraut haben. Wir sagen aber auch: Das bringt 400 Millionen weniger bei der Konsolidierung.
Kraft: Es gibt zu viele Kinder, die mit schwierigen Startbedingungen ins Schulleben eintreten. Da müssen wir eine Brücke zu den Eltern bauen. Im Kitabereich brauchen wir noch mehr Plätze. In der Schule wollen wir die individuelle Förderung stärken.