Ramtha. . Umm Abdullah ist 24 Jahre alt, Mutter von drei kleinen Kindern und auf der Flucht: Sie hat die Hölle Syrien hinter sich gelassen, lebt mit den Kindern seit wenigen Tagen in Jordanien. Eine Waffenruhe, sagt die junge Frau, gebe es in Syrien nicht.
Umm Abdullah ist 24 Jahre alt, hat drei kleine Kinder und große Angst. Sie hat die Hölle hinter sich gelassen, als sie mit den beiden Töchtern und dem Jüngsten im Schutz der Dunkelheit aus Syrien nach Jordanien floh. Aber am liebsten, so sagt sie mit leiser Stimme, würde sie zurückgehen: „Mein Mann ist noch dort. Er kämpft mit den Rebellen. Und er lebt.“ Ihr Handy hält sie fest in der Hand. Erst gestern hatten sie Kontakt. Aber es gibt kein zurück, solange Präsident Baschar al Assad an der Macht ist. Das kann sie den Kindern nicht antun, „nicht nach allem, was passiert ist“.
Seit wenigen Tagen leben Umm Abdullah und ihre Kinder in Ramtha in Jordanien. Von hier aus sind es nur wenige Minuten mit dem Auto bis nach Darra in Syrien. Dort begann im März 2011 der Aufstand gegen Assad. Mehr als 10.000 Menschen haben den Kampf um ihre Freiheit schon mit dem Leben bezahlt. Mitte April trat formell eine Waffenruhe in Kraft, aber das Töten geht weiter. „Es gibt keine Waffenruhe“, sagt die junge Syrerin mit dem schwarzen Gesichtsschleier und zieht ihren 18 Monate alten Sohn Abdullah zu sich auf den Schoß. Bei der Flucht aus Syrien hatte sie sich den Kleinen auf den Rücken gebunden, die Mädchen rechts und links an der Hand genommen. Es war fast Mitternacht. „Ihr müsst ganz still sein“, hatte sie ihnen gesagt. Und: „Habt keine Angst.“ Aber sie hatten Angst.
Dann fielen die Schüsse
Umm Abdullah ist nicht die einzige Mutter mit Kindern, die in dieser Nacht versucht, über die Grenze nach Jordanien zu fliehen. „Plötzlich begann eins der Babys zu schreien, und wir wurden entdeckt.“ Sie hörte, wie die syrischen Grenzsoldaten die Motoren ihrer Fahrzeuge anließen. Die 24-Jährige wurde panisch: „Rennt Kinder, rennt!“, rief sie den Mädchen zu. Und sie rannten, stiegen über den Stacheldraht und stolperten ins sichere Nachbarland. Dann fielen Schüsse, einige Flüchtlinge wurden getroffen. „Sie wurden von jordanischen Soldaten versorgt“, erzählt die Mutter, die mit den Kindern zunächst ins Auffanglager kam.
Jetzt leben die Vier bei der Familie ihres Cousins. So wie ihre Schwester mit den Kindern und zwei weitere Familien, 16 Menschen auf wenigen Quadratmetern, alle geflohen vor dem Wahnsinn in ihrer Heimat. Die Matratzen liegen gestapelt an der Wand, ein paar Decken daneben. Einige der Kinder schlafen im Bad. Ein Onkel und die Cousins sorgen für die Familien.
In jeder Nacht 400 bis 500 Flüchtlinge
Unterstützung kommt auch von der islamischen Hilfsorganisation „Al Kitab wa Sunna“. Ahmed As-Sagar, der vollbärtige Leiter des Regionalbüros, weiß nicht mehr, wie er die Hilfe für die Flüchtlinge noch finanzieren soll. Dabei ist es oft nur ein Zuschuss zur Miete, Babymilch, Decken und Reis. Vor der offiziellen Waffenruhe kamen in jeder Nacht etwa 100 Syrer über die Grenze, seit dem 12. April sind es 400 bis 500, immer mehr Kinder sind darunter.
Vor dem Aufstand hinter der Grenze hatte Ramtha etwas mehr als 100.000 Einwohner. Inzwischen, so glaubt Hadsch Sami, habe sich die Zahl der Bewohner nahezu verdoppelt. Er besitzt einen kleinen Laden an der Straße, die zur Grenze führt. „Ramtha in Jordanien und Darra in Syrien, das war früher fast eine Stadt“, erzählt der Händler, der deutsch spricht, weil er früher mal in Offenbach gelebt hat. „Fast jede Familie hier hat Verwandte in Syrien“, erzählt er, „ich auch.“ Jetzt ist die Grenze geschlossen, und die Geschäfte gehen schlecht. Auch sein Vater hat mehrere syrische Familien aufgenommen, insgesamt 18 Männer, Frauen und vor allem Kinder.
Jordanien hält die Grenze offen und nimmt die Flüchtlinge als Gäste auf
Ramtha wirkt friedlich, fast verschlafen. Es gibt keine Zeltstädte, die bis zum Horizont reichen, keine Kinder, die an einer Essensausgabe Schlange stehen. Jordanien hält die Grenze offen und nimmt die Flüchtlinge als Gäste auf, die nahezu alle bei Freunden und Verwandten im ganzen Land Unterschlupf finden. Ihre Not spielt sich nicht vor den Objektiven der Kameras ab, sie existiert im Verborgenen.
Jordanische Regierungsvertreter sprechen von mehr als 110.000 Syrern, die sich im Land aufhalten. Viele von ihnen wollen sich nicht registrieren lassen. Sie haben Angst, dass dann ihre Verwandten in Syrien bestraft oder ihre eigene Heimkehr erschwert werden könnte. Statt ans UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wenden sie sich lieber an lokale Hilfsorganisationen wie „Al Kitab wa Sunna“. Sie betreut allein in Ramtha etwa 5000 Menschen. Die Spenden kommen aus reichen Golfstaaten und jordanischen Moscheen. Aber ihr Geld reicht genauso wenig wie das der internationalen Helfer. Um die syrischen Flüchtlingen sofort unterstützen zu können, benötigten die Helfer etwa 66 Millionen Euro. Nicht einmal 20 Prozent davon seien vorhanden, klagt nicht nur das UN-Flüchtlingshilfswerk.
Umms Trauma im Müll
Auch das Kinderhilfswerk Unicef bittet um Spenden vor allem für die traumatisierten Kinder, wie die von Umm Abdullah. Die junge Frau schiebt ihr Handy auf und zeigt ein Foto ihrer fünfeinhalbjährigen Tochter. Sie steht auf der Terrasse vor ihrem Haus in Homs, sie strahlt und tanzt mit ausgebreiteten Armen im Schnee. Am Tag darauf kamen Assads Panzer in ihre Straße, sagt die Mutter. Sie schossen das Haus in Brand. Bevor die Milizen die Wohnungen durchkämmten, rannte sie mit ihren Kindern aus der Stadt. Der Schnee wurde zum Fluch. „Es war so bitterkalt. Wir irrten tagelang umher.“ Beduinen halfen ihnen. Als die Kinder krank wurden, kehrten sie nach Homs zurück. Bleiben konnten sie nicht, „die Stadt war von der Miliz abgeriegelt“. In einem Müllbehälter versteckt unter stinkendem Unrat wurden die Vier aus Homs herausgeschmuggelt. Die Erinnerung lässt Umm Abdullah und die Kinder nicht mehr los. Auf der endlosen, holprigen Fahrt ins Ungewisse, zusammengekauert im Müll, entdeckten sie, was über ihnen lag und so entsetzlich stank: Es war die Leiche einer verbrannten Frau.