Essen. . Syrien unternimmt erste Schritte zur Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans von UN-Vermittler Kofi Annan. Die Opposition misstraut Assad weiterhin. Nahost-Experte Volker Perthes sieht dagegen eine Chance für die Befriedung des blutigen Konflikts. Aber nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden.

In Syrien ist seit Donnerstag eine erste Waffenruhe in Kraft getreten. Damit hat die Regierung von Baschar Al-Assad auf Druck der Vereinten Nationen den ersten Schritt gemacht, um den Sechs-Punkte-Plan von Sondervermittler Kofi Annan umzusetzen, der dem Land Frieden bringen soll. Wie groß sind die Erfolgschancen tatsächlich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche Punkte umfasst der Sechs-Punkte-Plan?

Ein Ende der Kämpfe, der sofortige Stopp von Truppenbewegungen, die Entsendung von UN-Beobachtern, die Zulassung von Hilfslieferungen und medizinischer Versorgung der Menschen in den umkämpften Gebieten, Bewegungsfreiheit für Journalisten, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationen, die Freilassung willkürlich Festgenommener und der Wille, „in einem umfassenden von Syrien geleiteten politischen Prozess, auf die legitimen Anliegen des syrischen Volks einzugehen“.

Trotz der Waffenruhe starben gestern Menschen – Regime-Gegner und auch Soldaten. Hat so der Sechs-Punkte-Plan eine Chance?

„Es war nicht zu erwarten, dass bei so einem Konflikt die Gewalt sofort von 100 auf null heruntergefahren wird“, sagte Nahost-Experte Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, dieser Zeitung. Der Plan sei ein ernst zu nehmender Test, der zeigen werde, ob Assad begriffen habe, dass es für ihn und sein Regime zwar keinen Weg zurück zur internationalen Anerkennung gebe, ihm das Schicksal Gaddafis jedoch erspart bleiben könnte.

Die Opposition glaubt nicht, dass Assad den Plan erfüllen wird. Warum?

Weil Annans Forderungen bedeuten, dass die Demonstranten wieder zu Zehntausenden gefahrlos auf die Straße gehen und Journalisten über die Proteste berichten könnten. Aus Sicht der Opposition würde Assad damit quasi Selbstmord begehen.

Was fordert die Opposition?

Der Syrische Nationalrat (SNC) fordert eine von den Vereinten Nationen gedeckte Bewaffnung der Gegner Assads, um den Machthaber zu stürzen. „Wir sind gegen eine Militarisierung des Konflikts. Aber heute gab es wieder 13 Tote. Die Menschen, die friedlich protestieren und die, die sie schützen, müssen sich verteidigen dürfen. Deshalb müssen sie auf transparente Weise mit Waffen versorgt werden“, sagte SNC-Mitglied Sadiqu Al-Mousslie dieser Zeitung.

Was könnte eine Bewaffnung bedeuten?

Der vom Assad-Regime geschürte Hass der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (Sunniten, Alawiten, Christen, etc...) aufeinander könnte zu einer konfessionellen Zuspitzung des Konflikts führen.

Wie kann Annans Plan das verhindern?

Der politische Reformprozess böte die Möglichkeit, den Minderheiten – die zwar nicht pauschal, aber in weiten Teilen von Assad profitiert haben (Alawiten, Christen, Kurden) — zu zeigen, dass ihnen von der Bevölkerungsmehrheit (Sunniten) keine Gefahr droht, wenn Assad nicht mehr an der Macht ist.

Was ist dafür entscheidend?

Dass Vereinte Nationen und Arabische Liga den Druck aufrecht erhalten, also zum Beispiel das Waffenembargo ernst nehmen. Das gilt insbesondere für China und Russland, Syriens Freunde. „Assad muss merken, dass er international isoliert ist, seine Zeit abläuft. So weit sind er und seine Getreuen bisher noch nicht“, sagt Volker Perthes. Dann wäre eine Lösung möglich, wie sie Jemens Ex-Diktator Saleh nach zähem Ringen gewählt hat, als er begriff, dass sein Volk gegen ihn ist. Das Exil.