Kiew. . Das ukrainische Außenministerium hat empört auf Berichte reagiert, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Boykott der Fußball-EM erwägt. Regierungsmitglieder sprachen von Methoden des Kalten Krieges. EU-Präsident Barroso hat sich bereits für einen Boykott entschieden. Außerdem folgen weitere Politiker dem Beispiel Gaucks.
Medienberichte wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Boykott der Fußball-EM 2012 erwägt, haben am Montag in der Ukraine hohe Wellen geschlagen. Oleg Woloschin, Direktor für Informationspolitik im ukrainischen Außenministerium, sagte der Nachrichtenagentur Interfax, man hoffe, Bundeskanzlerin Angela Merkel sei von den Medien falsch zitiert worden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die heutigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland, sich der Methoden des Kalten Krieges bedienen und versuchen, den Sport als Geisel für die Politik zu machen“, zitiert Interfax.
Der „Spiegel“ hatte am Sonntag berichtet, Merkel erwäge einen Boykott der EM in der Ukraine durch das Bundeskabinett. Wegen des Umgangs der ukrainischen Regierung mit der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko will Merkel ihren Ministern demnach empfehlen, den Spielen in der Ukraine fernzubleiben.
Dagegen hat sich EU-Kommissionschef José Manuel Barroso bereits entschieden. Er plant einen Boykott der EM. "Nach derzeitigem Stand hat der Präsident nicht die Absicht, in die Ukraine zu reisen oder an dem Ereignis teilzunehmen", sagte seine Sprecherin Pia Ahrenkilde-Hansen am Montag in Brüssel. Mit Blick auf den Umgang Kiews mit der erkrankten und inhaftierten Exministerpräsidentin Julia Timoschenko sagte die Sprecherin: "Wir haben sehr ernste Sorgen, was in der Ukraine vor sich geht."
Bundespräsident Joachim Gauck sagte bereits zuvor eine für Mai geplante Reise in die Ukraine ab. Tschechiens Staatsoberhaupt Vaclav Klaus wird Gaucks Vorbild folgen und sagt ebenfalls einen Besuch in der Ukraine ab. Es gebe zwar mehrere Gründe für die Entscheidung, die inhaftierte ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko sei aber Hauptursache, sagte Präsidentensprecher Radim Ochvat.
Generalstaatsanwalt will Timoschenkos Vorwürfe untersuchen lassen
Timoschenko, die an Bandscheibenproblemen leidet, verbüßt in einem Gefängnis im Osten der Ukraine eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs. Die EU kritisiert die Inhaftierung der Ex-Regierungschefin als politisch motiviert. Timoschenko protestiert mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen und wirft den Behörden Misshandlung vor.
Die Generalstaatsanwaltschaft kündigte an, sie wolle herausfinden, ob die blauen Flecken, die Julia Timoschenko während einer gewaltsamen Verlegung in ein Krankenhaus erlitten hat, tatsächlich durch das Gefängnispersonal entstanden sind. „Wir werden in den nächsten Tagen sorgfältige Untersuchungen durchführen und dann ein Ergebnis veröffentlichen“, sagte Vadim Goran, Chef der Abteilung zur Einhaltung der Gesetze bei der Generalstaatsanwaltschaft in einem Fernseh-Interview. Dazu wolle man Gefängniswärter, Krankenhauspersonal, Ärzte und andere Beteiligte befragen.
Erste politische Rufe nach sportlichem Boykott
Als erstes Mitglied der Bundesregierung ruft Gudrun Kopp, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium, zum sportlichen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine auf. „Ich plädiere für die Verlegung der Spiele“, sagte die FDP-Politikerin dem Bielefelder „Westfalen-Blatt“. „Wer Menschenrechte permanent verletzt, muss mit den Folgen leben. Wir tragen eine Mitverantwortung und sollten die Europameisterschaft in der Ukraine boykottieren“, sagte Kopp.
Man solle prüfen, ob alle Spiele in Polen oder in Polen und einem anderen Land ausgetragen werden könnten. „Noch ist Zeit dafür“, sagte Kopp. Die EM beginnt in sechs Wochen, in der Ukraine sind 16 Partien geplant, darunter das Endspiel am 1. Juli in Kiew.
Fifa- und Uefa-Exekutivmitglied Theo Zwanziger sieht dagegen in einem Boykott der Spiele in der Ukraine keine Lösung. „Eine Absage ist keine Alternative, damit haben wir in der Vergangenheit bei anderen Ereignissen überhaupt nichts erreicht“, sagte der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im HR-Info-Radio.
Zwanziger fordert Spieler und Funktionäre zu klaren Positionen ab
Der Jurist forderte allerdings die Spieler der deutschen Nationalmannschaft zu kritischen Meinungsäußerungen auf: „Das erwarten wir von einem mündigen Staatsbürger, der Fußball spielt.“ Der Sport habe die Möglichkeiten, die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine zu beanstanden. Zwanziger weiter: „Wir treten ein für Rechtstaatlichkeit und Demokratie, und dann müssen wir das überall tun, wo wir hingehen.“
Aber nicht nur die deutschen Nationalspieler nahm Zwanziger in die Pflicht: „Was ich mir wünschen würde, wäre ein klareres Bekenntnis der führenden Sportfunktionäre.“ Konkret meine er damit die Europäische Fußball-Union (Uefa), aber auch die Nationalverbände. „Wir müssen klar und deutlich sagen, dass Politik und Sport nicht zwei verschiedene Dinge sind“, betonte Zwanziger. Sport sei nur dann wertvoll, „wenn er sich da, wo er ist - wir sind ja in der Ukraine - auch klar und deutlich bekennt, um dazu beizutragen, dass die, die dort Unrecht tun, sich nicht anschließend noch feiern lassen“. (dapd/afp)