Warschau. Bombenterror in Dnjepropetrowsk: In der ostukrainischen Millionenstadt explodierten um 11.40 Uhr Ortszeit vier Bomben. 27 Personen wurden nach letzten Meldungen schwer verletzt, ein Kind soll in Lebensgefahr schweben. Präsident Viktor Janukowitsch sprach von einem „Anschlag auf das gesamte Land“. Der Inlandsgeheimdienst ermittelt.
Es sah aus wie Krieg. Schießereien und auffahrende Panzerkolonnen beherrschten am Freitagnachmittag nach Augenzeugenberichten die ostukrainische Millionenstadt Dnjepropetrowsk. Schwerbewaffnete Polizeieinheiten kontrollierten nach mehreren Bombenexplosionen im Stadtzentrum sämtliche Ausfallstraßen.
Kurz vor 13 Uhr MEZ war es an einer Straßenbahnhaltestelle am Karl-Marx-Prospekt zu einer ersten Explosion gekommen. Die Bombe war in einem Abfalleimer deponiert worden.
In kurzer Folge explodierten danach mindestens drei weitere Sprengkörper in der Nähe der Oper, bei einem Kino und am Bahnhof. Innenminister Witali Sachartschenko berichtete von mindestens 27 Verletzten (darunter 9 bis 10 Kinder) bei vier Explosionen. Agenturberichte von bis zu einem Dutzend Todesopfer wurden offiziell nicht bestätigt.
Panik in der Stadt
In ukrainischen Internetforen schrieben Augenzeugen allerdings von mindestens sechs weiteren Bombenanschlägen in der ostukrainischen Stadt. Die örtliche Staatsanwaltschaft leitete am Nachmittag Ermittlungen wegen eines mutmaßlichen Terroranschlags ein.
Laut Berichten ukrainischer Internetportale soll in der Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern nach den Anschlägen eine regelrechte Panik ausgebrochen sein. Büroangestellte schlossen sich ein und trauten sich am Freitagabend nicht nach Hause.
Die Schulen wurden zwar sofort geschlossen, doch die verschüchterten Eltern holten die meisten Kinder offenbar nicht ab. In der Stadt kursierten bald wilde Gerüchte über die Attentäter. Nach Meldungen der ukrainischen Ausgabe der russischen Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“ soll es am Freitagmittag vor dem Einkaufszentrum „Karawan“ zu einem Schusswechsel zwischen Polizeieinheiten und Terroristen gekommen sein.
Hintergründe unbekannt
Die Hintergründe der Anschläge waren auch am Freitagabend unbekannt. Es gab schon im November 2011 einen Bombenanschlag in Dnjepropetrowsk, dem ein Mann zum Opfer fiel. Damals veröffentlichte die Internetseite Ukr.net einen Bekennerbrief, in dem Unbekannte drohten, sie würden noch viel stärkere Sprengsätze an belebten Orten zünden, vor allem an den Austragungsorten der Fußball-WM.
Dazu gehört Djnepropetrowk nicht. Allerdings spielt die deutsche Nationalelf Mitte Juni in Charkow. Es ist nur 200 Kilometer entfernt.
Dnjepropetrowsk gilt als wohlhabend und friedlich, auch in anderen ukrainischen Regionen sind keine religiösen oder nationalen Untergrundbewegungen bekannt. „Selbst die Tataren und Russen auf der Krim leben in Eintracht“, sagt der tatarische Journalist Ayder Muschdabajew. „Der einzige, der alle nervt, ist Janukowitsch.“
Heimatstadt von Julia Timoschenko
Da Dnjepropetrowsk Heimatstadt der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko ist, kam es bald zu wilden politischen Spekulationen. Der demokratischen Opposition gegen den immer autoritärer auftretenden Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch wird ein solcher Anschlag gemeinhin aber nicht zugetraut.
Der Publizist Wasili Sima veröffentlichte auf dem Nachrichtenportal korrespondent.net einen Blog, in dem er Janukowitsch verdächtigt, die Bombenanschläge angezettelt zu haben. Damit wolle er nach dem Vorbild des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des weißrussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko sein Volk in Angst versetzen.
„Janukowitsch hat kein Motiv zum Bomben“
„Aber so korrupt die ukrainische Führung auch sein mag, sie ist nicht totalitär wie Lukaschenko“, sagte der Moskauer Ukrainespezialist Stanislaw Belkowski. „Janukowitsch, aber auch alle anderen politischen Kräfte im Land, haben kein Motiv zum Bomben.“
In der Tat bedeuten die Anschläge kurz vor dem Beginn der Fußball-EM und nach dem Skandal um Julia Timoschenko einen weiteren herben Schlag für Janukowitschs Prestige.