Moskau. . Kurz vor der Fußball-WM geht in der Ukraine alles drunter und drüber. Die prominente Gefangene Julia Timoschenko wird in der Haft geschlagen und ist im Hungerstreik. Deutsche Ärzte fordern ihre Ausreise. Zugleich erschüttern Anschläge das Land. Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig. Die Bürger der Ukraine empfinden dies alles nur noch als Kasperletheater.
Die Ukraine gleicht seit Tagen einem Tollhaus. Da wird die prominenteste Strafgefangene des Landes, Julia Timoschenko, von Vollzugsbeamten grün und blau geprügelt, die Staatsmacht aber verbreitet als Antwort ein unscharfes Video, das angeblich Timoschenko als knutschende Simulantin entlarvt. In Dnjepropetrowsk explodieren reihenweise Abfalleimer und verletzen Passanten, Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig, hinter den Anschlägen zu stecken.
Als hätten alle gemeinsam beschlossen, die nahende Fußball-EM im eigenen Land doch noch zu verhindern, zumindest so viele Fans und Ehrengäste wie möglich zu vergraulen. Aberwitzig, absurd, scheinbar jenseits jeder logischen Erklärung.
Politik als endlose Seifenoper
Die Ukrainer selbst nehmen all das nur noch mit Schulterzucken zur Kenntnis. Sie haben sich längst an die groteske politische Wirklichkeit gewöhnt. Gesellschaftswissenschaftler vergleichen die von der Öffentlichkeit wahrgenommene Politik längst mit einer endlosen Seifenoper. Deren Hauptfiguren sich in immer neuen Konstellationen hassen, lieben, küssen und würgen. Und deren Statisten sich regelmäßig Massenschlägereien im Parlament liefern. Eine Seifenoper mit Hang zur Gaunerposse, die Verbindungen der Regierung zur Unterwelt werden seit Jahren offen diskutiert.
Böser Kaspar
Präsident Viktor Janukowitsch geht ganz in seiner Rolle als böser Kaspar auf, seine Popularitätsrate rutscht noch steiler ab als die seines Vorgängers Viktor Juschtschenko, der bisher als die größte ukrainische Enttäuschung des jungen Jahrtausends galt. Aber auch das Mitleid mit Janukowitschs Opfer Julia Timoschenko hält sich in Grenzen. Zu schnell hat sich die demonstrative Sportskanone im Gefängnis in eine chronische Hexenschusspatientin verwandelt. Auch die Diagnosen deutscher Ärzte nehmen viele Ukrainer nicht mehr ernst. Hier glaubt niemand nichts mehr.
Vorbild Putin
Fast scheint es, als drohe Kiew das Schicksal Moskaus: Janukowitschs Regime nimmt sich ein Vorbild an Putins Machtvertikale und nutzt die politische Enttäuschung der Gesellschaft, um sich selbst auf Jahrzehnte zu zementieren. Doch die Ukraine ist nicht Russland. Es gibt hier unabhängige und kritische TV-Sender, die Opposition ist zwar uneinig aber stimmkräftig, Janukowitsch hat im Parlament nur eine magere Mehrheit, die nach neuesten Umfragen bei den Parlamentswahlen im Oktober auf ein Patt schmelzen dürfte.
Klitschko in den Startlöchern
Und bei Präsidentschaftswahlen würden ihn zu Zeit in der Stichwahl gleich drei Oppositionskandidaten schlagen, darunter auch der boxende Quereinsteiger Witali Klitschko, der bisher nur 7 Prozent der Wähler hinter sich hat. Es sieht so aus, als wäre Janukowitsch in Bälde unwählbar. Deshalb befürchten viele Regimekritiker, er werde zu immer schmutzigeren Tricks greifen, um seine Macht zu retten. Die politische Konfrontation in der Ukraine mag jedenfalls bald den Rahmen jeder Seifenoper sprengen.