Jerusalem. . Am Gedenktag für die sechs Millionen Holocaust-Opfer und am Vorabend des Volkstrauertags zeigten israelische Sender nur ein Standbild oder historische Filme statt das Halbfinale Barcelona gegen Chelsea. Inzwischen gibt es viele Bürger in Israel, die diese strengen Vorschriften ablehnen.
Sechs brennende Kerzen statt Champions League. In diesem Jahr war es für die fußballbegeisterten Israelis besonders hart. Am Gedenktag für die sechs Millionen Holocaust-Opfer und am Vorabend des Volkstrauertags zeigten israelische Sender nur ein Standbild oder historische Filme statt das Halbfinale Barcelona gegen Chelsea.
Tamir Cohen regt das auf. „Ich will meine Entscheidung selbst treffen können“, meint der Journalist der israelischen Zeitung „Haaretz“. Er will sich nicht länger vorschreiben lassen, auf welche Weise er um die sechs Millionen Holocaust-Opfer und die Getöteten der Unabhängigkeitskriege trauern soll. Immer mehr Israelis geht es ähnlich. Knapp 64 Jahre nach Gründung des Staates Israel beginnt eine Diskussion darüber, wie das Land mit der schwierigen Vergangenheit umgehen soll.
Die "Zeit der großen Finsternis"
Im vergangenen Jahr starben allein in Israel fast 12.000 Holocaust-Überlebende. Mit jedem Einzelnen verschwindet ein Mensch, der durchlitten hat, was Ehud Loeb mit leiser Stimme als „Zeit der großen Finsternis“ beschreibt. Der 78-Jährige aus Bühl (in Baden) hat seine Eltern wie die meisten seiner Verwandten im Konzentrationslager Auschwitz verloren. Er überlebte den Krieg in Frankreich, weil er Menschen fand, die ihn versteckten. 1958 wanderte er nach Israel aus. Sprechen kann er über die „dunklen Jahre“ nur, wenn er nicht zu viel Persönliches preisgeben muss. „Ihr könnt das nicht verstehen“, sagt er auch zu seiner Frau, den Kindern und Enkeln. Seit seiner Pensionierung kümmert er sich um andere Holocaust-Überlebende. Es gibt nur „wir“ und „sie“, sagt er und hat für die Diskussion um den Fußball nur ein Kopfschütteln übrig.
Der 78-Jährige hilft in Yad Vashem mit, Israels Gedenkstätte für den Holocaust. Hier werden die Erinnerungen festgehalten, wird der Völkermord dokumentiert, bekommen die Opfer ihren Namen, ihre Identität zurück, hier wird ihrer gedacht. Sechs Millionen ermordete Juden, das sind sechs Millionen Schicksale. Von zwei Millionen fehlt noch jede Spur. In der Halle der Namen am Ende des Museums ist Platz für sie gelassen.
Auschwitz überlebt
Haim Gertner, Direktor des Yad Vaschem Archivs, hofft, noch viele von ihnen zu finden. Auch von David Pastel war bis vor kurzem nichts bekannt außer seiner Häftlingsnummer: 43405, die man ihm in Auschwitz 1942 auf den Arm tätowiert hatte. Bis vor Kurzem stand diese Nummer auf einem Grabstein auf dem Friedhof eines polnischen Dorfes. Heute hat Häftling 43405 seinen Namen und seine Geschichte zurück: Aron David Pastel, Vater von Aaron, Ehemann von Leonora, 1901 in Polen geboren. „Es ist ein großes Glück, wenn uns so etwas gelingt“, sagt Gertner.
Um die Opfer zu finden und ihnen ihren Namen, ihr Leben zurückzugeben und das Vergessen zu verhindern, sucht Yad Vashem nicht nur Erinnerungen in Form von Fotos, Tagebüchern, Zeichnungen und Notizen. „Wir sammeln alles“, sagt Gertner. Vor allem die Berichte und Geschichten der Menschen, die den Holocaust überlebt haben und heute zum Teil in Altenheimen leben. „Wir wollen ihre Geschichte festhalten, bevor es zu spät ist“, sagt Gertner. Pro Jahr werden 1000 Holocaust-Überlebende interviewt, ihre Geschichten auf Video festgehalten. Weniger als 200 000 leben noch in Israel.
Wenn sie in wenigen Jahren gestorben sind, droht der Holocaust endgültig Geschichte zu werden, über die andere verfügen. Instrumentalisiert wird er schon heute. Droht Israel ein zweiter Holocaust durch den Iran? Dieses Mal nicht „im Namen einer Herrenrasse, sondern im Namen einer Herrenreligion“, wie Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagt? Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel geht das zu weit. Mit dem Holocaust sei nichts vergleichbar, sagte er in einem Interview mit „Haaretz“. Wiesel hat Buchenwald und Auschwitz überlebt. Er ist 84.