Oswiecim.. Eine Gruppe Gymnasiasten aus Voerde hat das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz besucht. Sie trafen dort auf einen Gesprächspartner, wie es heute nicht mehr viele gibt: einen der letzten Zeitzeugen

Es regnet leicht in den Schnee und auf dem letzten Eis und im Matsch ist nicht gut gehen. Alle haben sich warm eingepackt, stopfen die Hände tief in die Taschen. Einer der Jungen liest leise, mehr zu sich selbst, die Worte auf dem Gedenkstein vor, um den die Schüler jetzt im Halbkreis stehen: „Dieser Ort sei allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit.“ Niemand sonst sagt was. Verzweiflung... Mahnung... Was denken diese 17-Jährigen, was empfinden sie in Auschwitz, in dem Konzentrationslager, dessen Name wie kein anderer für den organisierten Mord an Millionen steht.

Vorbereitung in Voerde

Gut vorbereitet auf die einwöchige Reise nach Polen waren sie alle. In Projektkursen wurden die 34 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Voerde mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust vertraut gemacht. Meike sagt es so: „Ich habe gedacht, ich wüsste eigentlich schon alles. Aber es ist schon was anderes, wenn man es dann sieht...“

Dajana Hannert vor der Wand mit den Fotos der Opfer. Foto: mam
Dajana Hannert vor der Wand mit den Fotos der Opfer. Foto: mam © Unbekannt | Unbekannt

Es sind nicht so sehr die Ruinen der von der SS vor der Evakuierung gesprengten Gaskammern, die den jungen Leuten ans Herz gehen, es sind die kleinen Dinge, die nachvollziehbaren. Vor der Wand mit den privaten Fotos, die den Häftlingen bei der Ankunft abgenommen wurden, bleiben sie lange stehen. Sie alle haben private Fotos auf dem Handy. Und sie alle können sich für einen Moment besser in jene Situation hineinfühlen: Ankunft an der Rampe, alles wird dir genommen, Selektion, Tod, nichts bleibt von mir. Nur ein Foto.

Vor 67 Jahren wurde das KZ befreit. Da waren die meisten Großeltern der Schüler noch Kinder. Sie können den Enkeln nichts erzählen von Schuld, Sühne, Unwissenheit, Mitläufertum wie Generationen zuvor. Diese zeitliche Ferne hat Folgen. Die jungen Leute haben keinen persönlichen Bezug mehr. Aber die Jugendgruppen machen mit 74 Prozent den größten Teil der Besucher in Auschwitz aus.

Günter Gebharz (62), der als Lehrer schon mehrfach mitgereist ist, unterstreicht das mit seiner Erfahrung: „In früheren Jahren gab es häufiger Tränen. Wir hatten Mühe, alle zu trösten.“ Das andere Verhalten heute führt er aber nicht auf fehlende Herzensbildung der jetzigen Schüler zurück. „Der Abstand ist nur größer geworden. Für diese Generation ist Auschwitz in erster Linie Geschichte.“

Nummer 121

Die noch einmal ergreifend lebendig wird, als sich Josef Paczynski in der Internationalen Begegnungsstätte vor die Schüler setzt. 92 Jahre ist er alt, die Nummer 121 trägt er in den Unterarm tätowiert. Zweieinhalb Stunden spricht er über viereinhalb Jahre Terror, über die Zufälle, die ihm immer wieder das Leben retten. Und jeder kann die Angst von damals heute noch greifen, wenn Paczynski erzählt, mit welchem ersten Satz er im Lager konfrontiert wurde. „Es gibt nur einen Weg hier raus. Durch den Kamin.“ Stille im Raum, niemand, der ihm nicht aufmerksam zuhört. „Der Höhepunkt der Reise“, werden die Schüler später sagen.

NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (3.v.l.) begleitete die Schüler zwei Tage lang beim Besuch in Auschwitz. Foto: mam
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (3.v.l.) begleitete die Schüler zwei Tage lang beim Besuch in Auschwitz. Foto: mam © Unbekannt | Unbekannt

Und ein Problem, wenn es um die Zukunft der Gedenkstätte geht. Denn die letzten Zeitzeugen sind alt oder krank, kaum jemand lebt noch, der Auschwitz als Erwachsener überstanden hat. Was kann die Zeugen ersetzen? Videos? Die Verantwortlichen der Gedenkstätte kennen das Problem sehr wohl. Eine Lösung haben sie noch nicht.

Landesschulministerin Sylvia Löhrmann begleitete die Schüler an zwei Tagen, legte einen Kranz an der Erschießungswand am Block 11 nieder. Sie hat viel mit den Schülern gesprochen und einen Eindruck gewonnen. „Es ist sehr wertvoll, wenn junge Leute einen solchen Zugang zu dem Thema erhalten.“ NRW unterstützt deshalb auch die Stiftung „Erinnern ermöglichen“, die 2010 von Privatleuten mit dem Ziel gegründet wurde, es jedem Schüler im Land zu ermöglichen, Auschwitz zu besuchen. 200 Euro pro Schüler stehen dafür bereit. Interessierte Schulen könne sich unter www.erinnern-ermoeglichen.de informieren.

Was wirklich bleiben wird von der Reise? Das werden in Voerde auch die nächsten Wochen zeigen, wenn die Fahrt im Unterricht nachgearbeitet wird. Keiner der befragten Schüler will die Reise missen. Das Thema hat jetzt Bilder bekommen. Bilder von Rassismus, Dummheit und Unmenschlichkeit. Die Mahnung der Gedenktafel, die haben sie gewiss verstanden.