Paris. Präsident Nicolas Sarkozy und Herausforderer François Hollande mobilisieren im Wahlkampf die Massen. Laut Umfragen läuft alles auf eine Stichwahl zwischen dem Konservativen und dem Sozialisten heraus. Die Wähler beschleicht indes ein schlimmer Verdacht.

Die Seine-Metropole gibt sich an diesem Sonntag sportlich. Am Morgen beherrschen noch die Läufer des Paris-Marathon das Straßenbild, dann liefern sich am Nachmittag die beiden Favoriten der Präsidentschaftswahl ein Fernduell. Nicolas Sarkozy versus François Hollande, der Amtsinhaber gegen seinen Herausforderer. Ihre Disziplin: die Massen mobilisieren.

Während der Gaullist seine Anhänger auf der „Place de la Concorde“ auf den Endspurt zum Élysée einschwört, versammelt der Sozialist die Seinen vor dem Schloss von Vincennes zum fröhlichen Picknick. Doch die Fernsehbilder der Trikolore schwenkenden und Marseillaise schmetternden Massen täuschen: Wohl noch nie in der Geschichte der Fünften Republik haben die Franzosen einen Wahlkampf so langweilig gefunden wie die „présidentielle 2012“.

„Helft mir, helft Frankreich.”

Gleichwohl überschlagen sich die Demoskopen mit Meinungsumfragen, um Stärken und Schwächen der Kandidaten auszuleuchten. Schon über 300 sind es bis jetzt – doppelt so viel wie 2007. Fest steht nur dies: Der Trend zu Enthaltung und Unentschlossenheit ist größer denn je. Nahezu ein Drittel der Franzosen will den Urnen fern bleiben, ebenfalls ein Drittel hat sich immer noch nicht festgelegt.

In der ersten Runde am nächsten Sonntag treten zehn Kandidaten an, die Stichwahl am 6. Mai werden wohl Nicolas Sarkozy und François Hollande unter sich ausmachen. Letzte Umfragen gehen am 22. April von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Sarkozy und Hollande aus, prophezeien aber für Runde zwei einen deutlichen Sieg des sozialistischen Herausforderers (53 zu 47 Prozent). Experten halten dagegen: Die Messe sei noch längst nicht gelesen.

Nicolas Sarkozy, den unbeliebtesten Präsidenten seit Jahrzehnten, hatten sie schon abgeschrieben. Doch Tag für Tag macht der 57-Jährige Boden gut. „Ich werde ein anderer Präsident sein“, verspricht er den Franzosen, denen das parvenühafte „Bling-Bling“-Gehabe zu Beginn seiner Amtszeit immer noch arg auf den Magen schlägt. Dem allgegenwärtigen „Hyper-Präsidenten“ setzt er, der Wandlungsfähige, nun das Bild des beschützenden, väterlichen Staatsoberhauptes entgegen. Auf dem Concorde-Platz, wo sich Zigtausende versammelt haben, tritt er als Vertreter der „schweigenden Mehrheit” auf und fleht demütig: „Helft mir, helft Frankreich.”

Der Sieger von 2007 wirkt in dieser Kampagne oft blass und erschöpft. Hinzu kommt seine dürftige Fünfjahresbilanz: die hohe Arbeitslosigkeit und das mickrige Wachstum, die enormen Staatsschulden und der peinliche Verlust der Top-Bonität. Sicherlich, es gibt mildernde Umstände: die schwere Schulden- und Eurokrise etwa und überhaupt die hartnäckige Reformunwilligkeit seiner Landsleute. Um geschickt von eigenen Mängeln abzulenken, beschwört er deshalb den drohenden Niedergang der Republik, sobald das Staatsruder in die Hände der Linken gerate. Noch einmal blitzt auf dem Concorde-Platz der gefürchtete Magier auf.

Schlimmer Verdacht

Für François Hollande (57) ist die Macht zum Greifen nahe. Der letzte Wahlsieg der Sozialisten – 1988 unter François Mitterrand – ist eine kleine Ewigkeit her. Nun bewirbt sich der „Abgeordnete aus Corrèze“ mit der bescheidenen Formel, ein „président normal“ zu sein. Einer, der Gerechtigkeit, Wachstum und neue Jobs insbesondere für die enttäuschte Jugend verspricht. So wie sein Rivale verbreitet auch Hollande Siegeszuversicht . „Ich bin bereit, Frankreich zu präsidieren“, ruft er den Zigtausenden in Vincennes mit heiserer Stimme zu. Doch so sehr Hollande ein Politiker zum Anfassen ist, so sehr fehlt ihm das präsidiale Charisma. Zu oft wirkt der Sozialist wie einer, der lediglich moderieren, aber nicht gestalten will.

Je inständiger Sarkozy und Hollande die Größe der Nation beschwören, desto mehr beschleicht die verwöhnten Franzosen unterdessen ein schlimmer Verdacht: dass die wirtschaftliche Lage der Republik weitaus dramatischer ist als angenommen und dass sie nach der Wahl auf Jahre den Gürtel enger schnallen müssen.