Essen. In einem bisher unter Verschluss gehaltenen Gutachten haben Wissenschaftler eine ernüchternde Bilanz über die Wirkung des Solidarpaktes gezogen: Fortschritte beim Aufbau der neuen Länder gibt es kaum noch - während die Kommunen im Ruhrgebiet unter der Finanzlast der Ost-Zuwendungen ächzen.

22 Jahre nach der Einheit rückt die Bundesregierung erstmals vom Ziel ab, gleiche Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland zu schaffen. Sie sucht jetzt einen neuen Weg, die 1990 beigetretenen Bundesländer zu fördern. Nach Auffassung der Forscher werden die neuen Länder niemals vollständig zu den alten Bundesländern aufholen. Eine längere Milliardenförderung lehnen sie daher ab und kritisieren "negative Gewöhnungseffekte", wie es dem Bericht zufolge in der Studie heißt. Die Forscher arbeiteten den Angaben nach heraus, dass die Mittel für die Ansiedelungs- und Wachstumsförderung im Osten seit etwa 1998 keine oder kaum eine Veränderung erreicht hätten.

Experten wollen gleiche alle Regionen gleich behandeln

Dennoch sollen bis 2019 noch 37,3 Milliarden Euro aus dem Solidarpakt II für den Aufbau Ost aufgebracht werden. Einzahlen müssen dafür auch die Städte an Rhein und Ruhr, die aus ihren Kommunalkassen seit 1991 bereits 2,7 Milliarden Euro aufgebracht haben – 436 Millionen waren das in Essen, 413 Millionen in Dortmund und 251 Millionen aus Duisburg.

In ihrem jüngsten Jahresbericht zur Deutschen Einheit nennt die Bundesregierung die Operation eine Erfolgsgeschichte - um dann jedoch etwas verklausuliert die Abkehr einzuläuten: „Dies fordert dazu auf, die für die Bewertung der Entwicklung der ostdeutschen Länder vorherrschende Angleichungs- und Einhol-Perspektive Ost an West durch eine differenziertere Betrachtungsweise zu ersetzen“. Die neuen Länder müssten zunehmend „eigene Stärken“ einbringen.

Allerdings will Berlin eine große Debatte über die Zukunft des Solidarpakts vermeiden, zumal die Förderung 2019 ohnehin vertraglich ausläuft. Deshalb wurde die Veröffentlichung eines Gutachtens von sechs Wirtschaftsforschungsinstituten gestoppt, das aus dem Jahr 2011 stammt und eine radikale Wende weg von der bisherigen Politik fordert.

Die „FAZ“ berichtet, die Gutachter, darunter auch das in Essen ansässige RWI, verlangten, dass „alle strukturschwachen Regionen in Deutschland in gleicher Weise behandelt werden müssen“. Zudem seien die „Aufholfortschritte“ im Osten in den letzten Jahren immer kleiner geworden. Ein Bedarf für den Ausbau der Infrastruktur bestehe kaum noch.

Ausgeglichene kommunale Kassen in neuen Ländern

Tatsächlich wird die Aussage der Wissenschaftler durch interne Zahlen der Bundesregierung gestützt. Danach sind

- in den Ausbau der Schienenwege von 1991 bis heute bundesweit 75 Milliarden Euro an Steuergeld gesteckt worden, 30 Milliarden davon im Osten.

- in den Bau neuer Straßen flossen bundesweit 92 Milliarden Euro. 32 Milliarden sind davon in den neuen Bundesländern ausgegeben worden.

- Viel Geld muss jetzt noch für die Telekommunikationsstruktur fließen. Bis 2014 sollen 75 Prozent der Haushalte mit Breitband erschlossen sein, derzeit sind es 45 Prozent. „Ostdeutschland wird hiervon ganz besonders profitieren“.

Noch mehr überzeugen andere Fakten. Die finanzielle Lage der Länder und Gemeinden im Osten ist längst deutlich besser als die im Westen. Vier der fünf Ost-Bundesländer haben so volle Kassen, dass sie keine neuen Schulden mehr aufnehmen müssen. Auch die Kommunen schreiben schwarze Zahlen, hat der Finanzexperte Florian Böttcher von der Universität Kaiserslautern ausgerechnet. Während im Schnitt die Städte in NRW im Schnitt 2010 etwa 133 Euro Verlust je Einwohner machten und dies durch Kredite ausgleichen mussten, erwirtschafteten die ostdeutschen Rathäuser 14 Euro Plus pro Einwohner – mit dem Ausreißer des prosperierenden Sachsen, das 51 Euro herausholte.