Washington. US-Soldaten haben in Afghanistan mehrere Ausgaben des Korans, des heiligen Buchs der Moslems, verbrannt. Nachdem der Vorfall bekannt wurde, folgten Entschuldigungs-Reigen von hohen Militärs und Politikern. Doch für viele Moslems sind trotzdem wütend. Die Mission der Amerikaner wird so nicht leichter.
Eine drastische Missachtung heiliger islamischer Symbole durch amerikanische Soldaten in Afghanistan ließ gestern im Verteidigungsministerium in Washington die Alarmglocken schrillen. Als sich Meldungen bestätigten, wonach US-Soldaten auf dem größten afghanischen Stützpunkt in Bagram Dutzende Buch-Exemplare des heiligen Koran wie Hausmüll verbrannt hatten und damit wütende Proteste mehrerer Tausend Demonstranten auslösten, wurde umgehend ein außergewöhnlicher Entschuldigungs-Reigen inszeniert. Zunächst versuchte General John Allen, Kommandeur der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf), die Wogen zu glätten.
In einer Depesche an den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai kündigte Allen eine umfassende Untersuchung an, entschuldigte sich bei der Bevölkerung, versprach, dass sich eine „unangemessen Entsorgung“ wie diese nicht wiederholen werde und bekräftigte mehrfach, dass dem nicht zu leugnenden Fehlverhalten keine Absicht vorausgegangen sei. „Was dann? Wieder einmal Unachtsamkeit und mangelnde Sensibilität?“, fragte ein Afghanistan-Experte an der Georgetown-Universität in Washington. Meldungen, wonach in den von Häftlingen genutzten Koran-Ausgaben extremistische Notizen gefunden worden seien, wurden jedenfalls bisher nicht bestätigt.
Koran-Verbrennung erregt Gemüter der Afghanen
Die Wirkung des Beschwichtigungsversuchs von General Allen blieb begrenzt. Vor der US-Basis, auf der auch das größte und umstrittenste Gefängnis der Isaf-Truppen angesiedelt ist, schaukelte sich den Tag über die Wut immer höher auf. An die 3000 Demonstranten skandierten Rufe wie „Tod den Amerikanern“ oder „Sterbt, ihr Ausländer“ und versuchten, die Basis zu stürmen. US-Soldaten setzten Gummi-Geschosse ein, um die aufgebrachten Demonstranten in Schach zu halten. Weil rasch die Sorge vor einer Wiederholung der tragischen Vorkommnisse im vergangenen Frühjahr in Mazar-I-Scharif wuchs, schickte die US-Botschaft in Kabul eine Warnung an alle im Land stationierten Amerikaner.
Man rechnet mit weiteren Protesten in den kommenden Tagen. In der im Norden gelegenen Provinz-Hauptstadt war es im April 2011 zu schweren Ausschreitungen gekommen, nachdem Terry Jones, ein radikaler US-Prediger, in Florida öffentlich eine Ausgabe des als heilig geltenden Koran verbrannt hatte. Eine Menschenmenge stürmte darauf den Sitz der Vereinten Nationen in Mazar. Elf Menschen, darunter sieben Ausländer, starben. Der jüngste Zwischenfall, den am Mittag auch Verteidigungsminister Leon Panetta „höchst bedauerlich“ nannte und eine öffentliche Entschuldigung aussprach, kommt für die US-Truppen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Bereits vor einem Monat mussten die politische Führung im Pentagon haarsträubende Videoaufnahmen kommentieren, die US-Elitesoldaten dabei zeigten, wie sie auf die Leichen afghanischer Männer urinieren.
Vorfall lässt Zweifel an Aussagen von Verteidigungsminister Panetta aufkommen
Die US-Truppen, die ihre Präsenz im Lande drastisch abbauen wollen, sind nach Einschätzungen von Sicherheitsexperten in Washington „noch mehr als sonst auf den Rückhalt in der Bevölkerung angewiesen, wenn etwa künftig im Süden die Aufstandsbekämpfung gegen die Taliban eher verstärkt denn reduziert wird“, heißt es in der Denkfabrik Brookings. Panetta betonte in seiner offiziellen Stellungnahme: „Wir ehren und respektieren ausnahmslos die religiösen Praktiken des afghanischen Volkes.“ Eine Behauptung, die mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist. David Ignatius, Pentagon-Kommentator der Washington Post, brachte es gestern so auf den Punkt: „Man fasst sich an den Kopf, dass zehn Jahre nach Beginn dieser Militäraktion irgendwelche Idioten einen Lastwagen an eine Feuerstelle fahren können und ausgerechnet den Text verbrennen, der von den Menschen als heilig erachtet wird, denen Amerika helfen will.“
General John Allen hat gestern angekündigt, dass alle in Afghanistan stationierten US-Soldaten bis zum 3. März eine Schulung durchlaufen müssen. Ziel sei es, „religiöse Schriften urteilssicher zu identifizieren und ihre korrekte Behandlung zu gewährleisten“.