Essen. . Der Protest gegen Joachim Gauck als nächsten Bundespräsidenten deutet auf ein bizarres Anforderungsprofil an den neuen Chef im Schloss Bellevue hin. Schon der Urlaub-bei-Freunden-Präsident Wulff wurde zunehmend zu einer Art 'Papst der deutschen Politik' erhöht. Gauck soll jetzt gar ein Heiliger sein - ein Kommentar.
Ob Joachim Gauck heilende Hände hat, ob er Blinde sehen und Lahme gehen machen kann? Nichts weniger scheint der Anspruch an ihn zu sein, wenn man die zahlreichen Debatten um den designierten Bundespräsidenten Joachim Gauck aktuell verfolgt.
Schon vor zwei Jahren war Gauck medial in einer Form hinaufposaunt worden, wie man es zuvor nur bei US-Präsident Barack Obama erlebt hatte: "Yes, we Gauck" tönte etwa die "Bild"-Zeitung. Der einstige Stasibehörden-Chef, Bürgerrechtler und Pfarrer von der Ostsee-Küste wurde damals auf einer Woge des öffentlichen Zuspruchs durchs Land getragen - was die Bundesversammlung im Mai 2010 freilich wenig beeindruckte, wo man nach drei Wahlgängen schließlich Christian Wulff als Bundespräsident kürte.
Gauck soll Kanten zeigen ohne anzuecken
Nach Wulffs Absturz, der dem Anspruch der Unfehlbarkeit nicht gerecht wurde, setzt nun nahtlos der nächste Gauck-Höhenflug an: In Umfragen mit höchsten Vertrauenswerten ausgezeichnet, werden an Gauck Hoffnungen und Ansprüche herangetragen, die das Anforderungsprofil des nächsten Bundespräsidenten fast in den Rang eines Heilands heben: Er soll "die Kluft zwischen Politik und Bürgern schließen" und das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zurück gewinnen. Zudem soll Gauck wichtige Debatten anstoßen, sein Thema "Freiheit" reiche da aber nicht, er müsse sich mindestens auch als Mahner und Forderer für mehr soziale Gerechtigkeit profilieren.
Unbequem soll Gauck jedoch auch noch sein. Mit Blick auf den Gauck-Protest, der sich im Internet entzündet hat, sieht man auf ihn das Kunstück zukommen, Kanten zu zeigen ohne anzuecken. So hat Gauck die Occupy-Bewegung verärgert und es sich mit Aktivisten gegen die Vorratsdatenspeicherung verscherzt. Den Ostdeutschen attestierte Gauck jüngst in Teilen Frust, dem vielfach verhassten Thilo Sarrazin in Anspielung auf dessen umstrittenen Integrations-Verriss "Deutschland schafft sich ab" gar "Mut", für die Linke ist er ohnehin nicht wählbar. So jemand darf doch nicht Bundespräsident sein...
Und es geht im Privaten weiter: Der CSU-Politiker Norbert Geis, Rechts- und offenbar auch Moralexperte der Unionsfraktion, hat Gauck am Dienstag aufgefordert, "seine persönlichen Lebensverhältnisse schnell in Ordnung zu bringen". Aus eigenem Interesse dürfe Gauck keine Angriffsfläche bieten, meint Geis. Worum es geht? Gauck lebt in wilder Ehe mit einer Frau zusammen, ist aber noch verheiratet.
Kann man das noch steigern? Man kann: Im Internet kursiert ein Foto, das Gauck mit Wulff-Freund Carsten Maschmeyer zeigt. Nur ein Schnappschuss - oder gar Beleg für eine unduldsame Nähe zu Wirtschaftsvertretern?
Das alles ist Ausdruck einer Gauck-Hysterie, die sich möglichst rasch abkühlen sollte. Ob Joachim Gauck ein guter Bundespräsident wird - es wird sich nach dem 18. März zeigen. Wenn Joachim Gauck tatsächlich die vollen fünf Jahre einer Amtsperiode ermöglicht werden sollen, wird es Zeit, aus den Fällen Köhler und Wulff zu lernen. Dazu gehört, es Joachim Gauck zuzugestehen, dass er nicht allen recht machen wird. Und den Anspruch an das Amt des Bundespräsidenten herunterzuschrauben: Er ist nicht der Papst und auch kein Heiliger.