Berlin. .
Zwei Wochen vor der Wahl des Bundespräsidenten sind die Mehrheitsverhältnisse offen: In Sachsen haben am Mittwoch mehrere CDU-Politiker dem Kandidaten Christian Wulff die Zustimmung verweigert. In Meinungsumfragen liegt Joachim Gauck vor Wulff.
Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck liegt in der Gunst der Deutschen weiter vor seinem Kontrahenten Christian Wulff (CDU). Bei einer Direktwahl würden sich laut einer am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Umfrage 41 Prozent für den ehemaligen Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde entscheiden, laut dem neuen ARD-Deutschlandtrend wären es 43 Prozent.
Der von Union und FDP nominierte niedersächsische Ministerpräsident Wulff käme auf 35 beziehungsweise 37 Prozent. Die Kandidatin der Linkspartei, Luc Jochimsen, ist mit 3 beziehungsweise 2 Prozent weit abgeschlagen.
Der parteilose Gauck, der von SPD und Grünen aufgestellt wurde, gewinnt mittlerweile an Zuversicht über seine Chancen bei der Wahl in der Bundesversammlung am 30. Juni. Er könne immer noch zählen, allerdings zähle er nun „etwas fröhlicher“, sagte er am Mittwoch nach seiner Vorstellung im Berliner Abgeordnetenhaus.
Mehrheit für Wulff in CDU schrumpft
Unterdessen schrumpft die Mehrheit für Christian Wulff, den Kandidaten von Union und FDP für das Bundespräsidentenamt. Zwei Wochen vor der Wahl versagten am Mittwoch mehrere CDU-Abgeordnete im sächsischen Landtag dem Unions-Kandidaten überraschend die Zustimmung. Bei der Abstimmung über die 34 sächsischen Vertreter zur Bundesversammlung erhielt die Liste der CDU in Dresden vier Stimmen weniger als Abgeordnete der Partei anwesend waren.
Nach der Schlappe kann die CDU nur noch 14 Vertreter aus Sachsen nach Berlin schicken. Das sind zwei weniger als ihr nach den Mehrheitsverhältnissen eigentlich zustehen. Gleichzeitig bekam die gemeinsame Liste von Grünen und SPD für deren Kandidat Joachim Gauck drei Stimmen mehr. Die beiden Parteien können sieben Vertreter entsenden, zwei mehr als vorgesehen.
Eine der beiden zusätzlichen Stimmen verdanken SPD und Grüne allerdings einem geschickten Schachzug: Statt mit einzelnen Listen traten sie mit einer gemeinsamen Liste an. Die CDU hatte dies scharf kritisiert.
Der überraschende Ausgang der geheimen Abstimmung sorgt für eine geringe Verschiebung der Mehrheit zugunsten von SPD und Grünen. Union und FDP haben dennoch weiter eine deutliche Mehrheit in der Bundesversammlung, die am 30. Juni in Berlin einen neuen Bundespräsidenten wählen wird.
SPD-Fraktionschef Martin Dulig zeigte sich erfreut über den „erstaunlichen Zuspruch“ für Gauck. Die zusätzlichen Stimmen stammten offensichtlich aus dem konservativ-bürgerlichen Lager. Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau erklärte: „Die Wahl des Bundespräsidenten bleibt bis zum Ende spannend.“
Die FDP kann wie geplant drei Vertreter entsenden. Auch bei Linken mit acht und der rechtsextremistischen NPD mit zwei Wahlleuten gab es keine Abweichungen. Der FDP-Landtagsabgeordnete Tino Günther kündigte unterdessen an, er werde nicht den Kandidaten von Union und FDP, sondern Gegenkandidat Gauck wählen. Im ARD-Politikmagazin „Monitor“ erklärte er: „Bei meinem Hintergrund, meinem Erlebten in der DDR und zur Wende ist es klar, ich werde Gauck wählen. Ich schätze an ihm, dass er geradlinig ist und war.“
Ost-Liberale im Bundestag wohl für Wulff
Gauck sei in der Wendezeit eine Leitfigur gewesen, fügte er hinzu. „Er ist ein liberaler Freiheitskämpfer und wir als Freiheitskämpfer wählen Freiheitskämpfer“. Günther ist damit offenbar der erste Wahlmann aus dem schwarz-gelben Lager, der sich vor der Wahl offen zum Kandidaten von SPD und Grünen bekennt.
Die FDP-Fraktion im Dresdner Landtag hatte Ende vergangener Woche entschieden, ihren Vertretern in der Bundesversammlung keine Wahlempfehlung auszusprechen. Partei- und Fraktionschef Holger Zastrow, der ebenfalls nach Berlin fährt, erklärte, die Wahl sei eine Gewissensentscheidung. Nach Angaben der FDP-Fraktion wollen sich Günther und die beiden anderen gewählten sächsischen FDP-Vertreter noch in dieser Woche zu ihrer Wahlentscheidung äußern.
Weiter unklar ist auch, wie die beiden FDP-Wahlmänner aus Thüringen und Brandenburg abstimmen werden. Die meisten ostdeutschen FDP-Bundestagsabgeordneten wollen dagegen offenkundig für Wulff stimmen. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Heinz-Peter Haustein sagte, auch die Liberalen aus dem Osten im Bundestag würden voraussichtlich alle Wulff wählen. Er werde so abstimmen, er respektiere aber auch, wenn andere Liberale sich zu Gauck bekennen würden. „Es ist und bleibt eine Gewissensentscheidung“.
Die FDP-Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, sicherte Wulff die Unterstützung ihrer Partei zu. „Herr Wulff kann sich auf die FDP-Bundestagsfraktion und die FDP in der Bundesversammlung verlassen“, sagte sie in Berlin. Sie sei zuversichtlich, dass es eine geschlossene Unterstützung geben werde. Mit Blick auf Sachsen und Thüringen sprach sie von der Entscheidung einzelner Wahlmänner.
Gauck darf nicht im Landtag Niedersachsens reden
Unterdessen wurde bekannt, dass Gauck ein Auftritt im Niedersächsischen Landtag verwehrt wird. Landtagssprecher Franz Rainer Enste bestätigte einen Bericht der „Bild“-Zeitung, wonach der Leibniz-Saal des Parlaments in Hannover dafür nicht genutzt werden könne. Auf Einladung von SPD und Grünen wollte Gauck sich dort am kommenden Dienstag den niedersächsischen Wahlleuten der Bundesversammlung vorstellen.
Die Fraktionen von Grünen und SPD kritisierten die Entscheidung der Landtagsverwaltung und beschwerten sich bei Landtagspräsident Hermann Dinkla (CDU). Dessen Sprecher begründete die Ablehnung mit grundsätzlichen Nutzungsvorgaben. Demnach dürften weder Parteien noch Fraktionen den betreffenden Saal für Veranstaltungen nutzen. „Dinkla hätte auch bei dem Bundespräsidenten-Kandidaten Christian Wulff so entschieden.“
Nun soll dem Sprecher zufolge ausgelotet werden, ob es für Gauck noch Alternativmöglichkeiten gibt. Schließlich seien die Möglichkeiten zur Nutzung der Fraktionssäle derzeit wegen Sanierungsarbeiten eingeschränkt.
Wulff verlässt VW-Aufsichtsrat
Wulff erklärte am Mittwoch den Rücktritt von seinem Sitz im Aufsichtsrat bei Volkswagen. Wie seine Staatskanzlei mitteilte, würde das Mandat unmittelbar mit der Wahl zum Bundespräsidenten am 30. Juni enden. Laut Grundgesetz darf ein Bundespräsident kein anderes Amt ausüben. Am Freitag hatte Wulff bereits sein Landtagsmandat niedergelegt. Ministerpräsident will er aber bis zur Bundespräsidentenwahl bleiben.
Gauck grenzte sich derweil weiter von der Linkspartei ab, ohne deren Stimmen er voraussichtlich nicht Präsident werden kann. „Wer den Systemwechsel will, wird bei mir auf Widerspruch treffen. Wer den Kapitalismus abschaffen will, erscheint mir wie ein Träumer“, sagte der frühere Bürgerrechtler. Eine „antikapitalistische Attitüde“ sei ihm suspekt. (apn/ddp)