Düsseldorf. . Die NRW-Landesregierung will straffällig gewordene Jugendliche nicht mehr einfach wegsperren. Künftig soll der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehen, kündigte Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) an. Er hat eine umfassende Reform auf den Weg gebracht.

Straffällig gewordene Jugendliche sollen in Nordrhein-Westfalen nicht länger einfach weggesperrt werden. Die rot-grüne Landesregierung hat am Dienstag ei­ne umfassende Reform des Jugendarrests auf den Weg gebracht. „Im Vordergrund steht ganz klar der Erziehungsgedanke“, erklärte NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD).

Angesichts von Rückfallquoten bis zu 70 Prozent soll in den sechs Jugendarrestanstalten des Landes die sozialpädagogische Betreuung künftig stark ausgebaut werden. Für zusätzlich 830.000 Euro pro Jahr sollen Sozialpädagogen und Sportübungsleiter den zumeist minderjährigen Tätern kreative, handwerkliche oder gruppendynamische Angebote machen. Im Jahr 2010 verzeichneten die NRW-Anstalten rund 10.000 Jugendarreste, die in der Regel zwischen zwei Tagen und vier Wochen dauern.

Schüler mit Luftgewehren

Die Ankündigung war furchterregend. Vier namentlich genannte Lehrer einer Realschule in Remscheid sollten sterben. So hatten es zwei Schüler, bei denen die Polizei später Luftgewehre, Kleinwaffen und Messer fand, im Dezember 2006 im Internet veröffentlicht. Keine 24 Stunden nach der Amok-Drohung saßen die beiden Jugendlichen für jeweils drei Wochen im Jugendarrest. Schnelle und konsequente Strafverfolgung gelten bei Jugendkriminalität als wichtigste Voraussetzung, um überhaupt eine erzieherische Wirkung zu erzielen.

Umstritten ist jedoch seit Jahren, ob das bloße Wegsperren von jungen Tätern sinnvoll ist. Immer wieder haben führende Juristen die Abschaffung des Jugendarrests in der bisherigen Form gefordert. Ein „Zuchtmittel“, das bis zu vier Wochen umfassen kann und im Sanktionskatalog angesiedelt ist zwischen ersten erzieherischen Maßnahmen wie Sozialstunden und einer regulären Jugendstrafe. Der pädagogische Nutzen ist offenbar gering, die Rückfallquote bei kurzzeitig weggesperrten Jungtätern mit bis zu 70 Prozent sehr hoch.

Anti-Aggressionstraining

Nordrhein-Westfalen greift die schwelende Kritik am Jugendarrest nun auf und plant die bundesweit umfassendste Reform. Der Gesetzentwurf von NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD), der der WAZ vorliegt und im Frühjahr vom Landtag beraten werden soll, wendet sich „kompromisslos vom reinen Sanktionscharakter des Arrestes ab und zielt konzeptionell auf die Förderung und Erziehung der Jugendlichen“. Rot-Grün will künftig verstärkt Sozialarbeiter und Sportübungsleiter in die sechs Jugendarrestanstalten des Landes schicken und Angebote wie Anti-Aggressionstraining, Persönlichkeitsschulung, Mannschaftssport oder Bildungsmaßnahmen machen. Einzelzelle, freie Religionsausübung, mindestens zwei Stunden täglich im Freien, Speziallehrgänge mit der Polizei, „Finanzführerschein“ oder Anti-Drogen-Kurs sollen die Regel werden. Mehrkosten fürs Land: Rund 830.000 Euro pro Jahr für insgesamt 254 Arrestplätze.

„Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich lohnt, mit den jungen Menschen zu arbeiten“, sagt Kutschaty. Allein im Jahr 2010 verzeichnete NRW rund 10.000 Arreststrafen, knapp die Hälfte davon sogenannte Freizeitarreste am Wochenende. Gerade dieses bloße Wegschließen der zumeist 14 bis 17 Jahre alten Täter von Freitag bis Sonntag muss den Justizminister ins Grübeln gebracht haben.

Ruf nach Sanktionen

Kutschaty, der sich schon zu Beginn seiner Amtszeit mit der Heraufsetzung der Strafverfolgungsgrenzen für weiche Drogen heftigen „Kuschelpädagogik“-Vorwürfen aussetzte, kann sich im anstehenden Gesetzgebungsprozess auf Kritik gefasst machen. Seine Vorstellung von Jugendarrest steht im Kontrast zur emotional geführten Diskussion über „Erziehungscamps“ und „Warnschussarrest“, die zuletzt der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Landtagswahlkampf 2008 befeuert hatte. Der Ruf nach harten Sanktionen wird immer dann laut, wenn irgendwo Jugendliche besonders brutal zugeschlagen haben.

Dennoch: Rot-grün will eine Abkehr von der hergebrachten Bestrafungstheorie des kurzen, heftigen Schocks („short sharp shock“). „Auch der Jugendarrestvollzug muss das Ziel haben“, findet Kutschaty, „die jungen Menschen in die Lage zu versetzen, im Leben künftig straffrei zu bleiben.“