Essen. . In Syrien droht ein Bürgerkrieg. Der Autor und Nahost-Experte Jürgen Todenhöfer hat das Land im November besucht. Er fordert, dass die westlichen Mächte mit dem Regime reden - anstatt kompromisslos auf Konfrontationskurs zu gehen
In Syrien droht ein Bürgerkrieg. Der Autor und Nahost-Experte Jürgen Todenhöfer hat das Land im November besucht. Gregor Boldt hat mit ihm über die verworrene Lage vor Ort gesprochen.
Herr Todenhöfer, wie beurteilen Sie die Situation in Syrien?
Jürgen Todenhöfer: Die Fronten sind nicht klar. In den Vororten von Damaskus und Homs herrscht Krieg, die Zentren sind relativ friedlich. Assads Truppen, aber auch die bewaffneten Rebellen gehen hart gegen Zivilisten vor. Die Menschen leiden.
Eine Umfrage der Quatar-Foundation hat ergeben, dass 55 Prozent der Syrer zu Assad halten. Spiegelt das die Verhältnisse wider?
Todenhöfer: Selbst in der Rebellenhochburg Homs haben mir Aufständische gesagt, dass nur 50 Prozent hinter ihnen stehen. Vor allem die Minderheiten im Land, Christen und Alawiten, die zusammen ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, wollen keinen Machtwechsel, wenngleich auch sie für demokratische Reformen auf die Straße gehen. Demokratie wollen inzwischen alle.
Warum unterstützen sie den Machthaber?
Todenhöfer: Syrien ist ein multi-religiöses, säkulares Land. Bisher gab es ein zerbrechliches, funktionierendes Miteinander der unterschiedlichen Gruppen. Die Minderheiten fürchten, dass das auseinander bricht, wenn der Alawit Assad gestürzt wird und dann die Bevölkerungsgruppen gegeneinander gehetzt werden. Wie im Irak, wo Chaos herrscht.
Wer hätte ein Interesse daran?
Todenhöfer: Besonders die sunnitischen Länder des Nahen Ostens, allen voran Saudi-Arabien. Sie wollen die Macht der Schiiten in der Region eindämmen. Das Assad-Regime ist Partner des schiitischen Iran, der auch im Irak immer mehr Einfluss gewinnt. Iran hat ja den Irakkrieg gewonnen, ohne sich daran beteiligt zu haben.
Und der Westen?
Todenhöfer: Die Vereinigten Staaten wollen Iran schwächen und unterstützen die Rebellen. In Syrien geht es im Grunde um den Iran. Die Rechnung: Übernimmt die sunnitische Mehrheit in Syrien die Macht, verliert Iran seinen wichtigsten Verbündeten und auch den Einfluss auf die Hisbollah im Libanon. Damit wäre auch Israel geholfen. Aber diese Strategie ist gefährlich.
Warum?
Todenhöfer: Das sieht man in Ägypten und Libyen. Am Ende ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nach einem Bürgerkrieg Fundamentalisten die Macht übernehmen. Eine weitere Bewaffnung der Rebellen würde zu Zehntausenden Toten führen. Wenn auch noch Iran angegriffen wird, haben wir die gefährlichste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Wie könnte dieses Szenario vermieden werden?
Todenhöfer: Nur durch Verhandlungen. Selbst Assad hält Demokratie für unverzichtbar. Er hat angekündigt, im März ein Referendum über eine demokratische Verfassung und danach Parlamentswahlen abzuhalten. Außerdem ist er bereit, mit seinen politischen Gegnern in Moskau (der Exil-Opposition, Anm. d. Red.) Gespräche zu führen. So wie es Russlands Außenminister Lawrow vorgeschlagen hat.
Hat Assad die Zeit dafür?
Todenhöfer: Er glaubt, die Demokratie Schritt für Schritt einführen zu können, aber er unterschätzt den Faktor Zeit. Außerdem liegt eine Demokratisierung Syriens unter der Führung von Assad nicht im Interesse des Westens. Die USA wollen ihren Einfluss im Nahen Osten ausbauen. Wer das nicht sieht, ist blind.
Der Autor:
Seit 50 Jahren bereist Jürgen Todenhöfer die muslimische Welt. 2011 war er in Ägypten, Libyen und Syrien. Der ehemalige Medienmanager saß als Abrüstungsexperte für die CDU von 1972 bis 1990 im Bundestag. Sein neues Buch heißt: „Feindbild Islam. Zehn Thesen gegen den Hass“.